laut.de-Kritik

Im Soul-Fieber - wie eine große und gut sortierte Plattensammlung.

Review von

Vom neuen Album des Südstaatlers Marc Broussard können sich Fans klassischen Souls ernst genommen fühlen: "Time Is A Thief". "Die Zeit ist ein Dieb. Die Zeit wird dir Dinge beibringen", heißt es im Titeltrack. Man ist nur einmal jung. Ist man jung, braucht man das Geld. Marc erkannte früh die Chance, die Major-Labels bieten können, Stichwort Reichweite. Er sah aber bald auch die Risiken: Das Dasein eines kleinen Rädchens in einem Weltkonzern, dem man ausgeliefert ist.

Die Erfahrungen des Songwriters in solchen Mega-Betrieben ist auch schon wieder zehn Jahre her. Mit seiner Frau wurde er sich einig, dass seine Musik lieber sozialaktivistisch etwas bewegen sollte. In dieser Haltung bestärken ihn heute Joe Bonamassa, der organisatorisch unter die Arme greift, und Eric Krasno künstlerisch.

Krasno, einst Gründer der Bostoner Funk-Formation Lettuce, fleißiger Blues-Gitarrist und Multiinstrumentalist sorgt auf "Time Is A Thief" für die wunderschönen und präzisen Arrangements. Manchmal hören sie sich allzu vertraut an, wenn man etwa bei "Hard Times" zur Textzeile "hard times in the city" verdächtig nahe an Bobby Blands "Ain't No Love In The Heart Of The City" vorbeijammt - einer jener Soul-Helden, denen dieses Album ein Denkmal setzt.

Derlei Referenzen schwirren etliche durch den Mississippi-Dunst: Ein Schelm, wer im Gitarren-Intro des Titelsongs "Time Is A Thief" nicht "Long Train Running" von den Doobie Brothers vernimmt. Wie die Doobies auch, stammt Krasno zwar nicht aus den Südstaaten, weiß aber genau, wie er den Louisiana-Sound als heißen, würzigen "Gumbo" anrührt.

Herausragend brutzelt "Cold Blooded". Wie ein Sterne-Koch mixt Eric in räumlich plastischer Abmischung die Zutaten zusammen. Nach drei Minuten würde man gerne noch mehr davon genießen: ein groovender E-Bass und eine jubilierende Lead-Gitarre im verführerischen Wechselspiel mit Keyboard-Loops. Helle Harmonien unterwandern dumpfe Tieftöne und schlängeln sich so unaufdringlich wie wirkungsvoll ins Ohr.

Zeit ist ein Dieb: Zu oft wird Geschichte zu rasch vergessen, obwohl Erinnerung eine Lehre für Gegenwart und Zukunft sein kann. Broussard hat George W. Bush zu Zeiten des Hurricanes Katrina 2005 aber nicht vergessen. Seitdem nimmt der engagierte Künstler das Thema soziale Fürsorge in Form einer Benefiz-CD-Serie selber in die Hand. Soulmusik wurzelt in der tiefen Enttäuschung über gesellschaftlichen Stillstand und reaktionäre Bewegungen und pusht gleichzeitig den Glauben an die eigene Person. Dem fühlt sich Marc verpflichtet.

Broussard bringt viel Wissen über Musik in sein Blue Note-Arsenal ein. Er besitzt den passenden Twang in der Stimme, hat heiser geträllerte Phasen, ein kehlig klagendes und juchzendes Röhren. Die Bandbreite erstreckt sich von in Gospel wurzelndem Memphis-Soul ("Mood") über federnden Northern Soul ("You Deserve More") und klagende Folk-Harmonien bis hin zu Chicago-Rhythm'n'Blues im Stile des frühen Curtis Mayfield ("Hard Times").

Die Platte bedient sich auch an den Sechzigern: Bei "Way You Shine" lässt Broussard seine exzellente Kapelle frei nach den Temptations ein "Papa Was A Rolling Stone"-Intro zaubern. "Fire" posaunt 'S T A X' in aller Klarheit und Verbundenheit mit Memphis heraus. Zu üppig psychedelischen und geschmackvollen Brass-Arrangements gesellt sich Marcs Art zu singen: Er pflegt dieses Timbre, das man direkt mit Eddie Floyd ("Knock On Wood") und Rufus Thomas assoziiert ("Walking The Dog").

Mit Salsa unterfüttert, lädt das Titelstück "Time Is A Thief" zum Feiern ein und verweist auf warme Latin Funk-Riffs. Klingt "Carry My Name" nach Vintage der Marke Amy Winehouse, knüpft "Give You The World" an Roachford an. "Stay Still" dürfte Fans von Rag'n'Bone Man erfreuen. Broussard ist in diesen Tagen in Deutschland und der Schweiz live zu erleben.

Trackliste

  1. 1. Fire
  2. 2. Mood
  3. 3. Cold Blooded
  4. 4. You Deserve More
  5. 5. Hard Times
  6. 6. Give You The World
  7. 7. Time Is A Thief
  8. 8. Carry My Name
  9. 9. Way You Shine
  10. 10. Stay Still

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