laut.de-Kritik
Gute Vibes, viele Facetten, B-Klasse-Sound.
Review von Philipp KauseMit "Caution" flößt einem Mariah Carey lauter äußerst eingängige Melodien ein. Die Sounds sind leichte Kost, sie stören nicht und bewegen sich komplett im Rahmen von Hörgewohnheiten. Zwischen Dance/Electro, Hip Hop/Rap, R'n'B/Neo-Soul und Mainstream-Pop trifft sie genau die Mitte. "GTFO" brilliert als kühler Future R'n'B im Stile von AlunaGeorge oder Jessy Lanza. Ein starker Groove unterzieht "A No No", wo sich Mariah mit Understatement-Gesang am Rande aufhält, die Beats dominieren. So entsteht eine kühl-emotionale Kippstimmung. "With You" ist quasi das Gegenteil von Careys berühmtem Song "Without You", auch eine Ballade, aber eine beschwingte, mit wuchtigem Bass.
Bislang verbucht Mariah Carey 144 Millionen weltweit verkaufte Longplayer und Compilations. In gewisser Weise 'verdanken' wir ihr auch Nicki Minaj, aufgrund eines Feature-Tracks. So lohnt es sich zu schauen, wen sie dieses Mal zu Gast hat. Daraus lassen sich womöglich die Stars von morgen vorhersagen.
Auf "Giving Me Life" ist Blood Orange zu hören, der mit seinen durchdachten und gefühlvollen R'n'B-Retro-Funk-Alben ("Negro Swan") längst mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. "Giving Me Life" beginnt mit einem Wortschnipsel-Sample eines schreienden Mannes (Oldschool Rap-Ikone Slick Rick), dann macht Mariah kurz "Hm" und leitet straight und souverän in ihre Geschichte. Darunter liegt im Refrain ein Moog-Synthie-Riff, das es mit Emerson, Lake & Palmers "Lucky Man" aufnimmt. Den Synthesizer kann man wie eine dritte Stimme zählen. Die vierte übernimmt Blood Orange mit angenehmem Timbre.
"Reminisce" und "remember" sind die Schlüsselwörter, es geht um spätpubertäre Erlebnisse, eine Kombination aus Sommer, Sex, "sensitivity" und zwar mit 17. "Giving Me Life" - eine sehr positive Aussage, doch man ahnt dunkle Abgründe. Wovon der Song wirklich handelt, bleibt der Fantasie der Zuhörer überlassen. Blood Orange rätselt jedenfalls, "why you left", war es doch "ecstasy", und auch sie wünscht sich ihn zurück - was aber trennt sie dann nun? Der XL-Song endet wieder mit Samples und einem geheimnisvollen langen Outro.
"The Distance" feat. Ty Dolla $ign lebt von Oldschool Hip Hop-Flair sowie dem 90er-Erbe von Adina Howard mit 2018er-Drum Machine. In "Stay Long" (feat. Gunna) stellt Mariah uns Gunna vor. Diesen 25-Jährigen schnappte sich inzwischen Motown, und sein Mixtape "Drip Harder" erreichte im Oktober 2018 nur mit Streamings und Downloads die Top 20 der holländischen Charts. Einen bleibenden Eindruck hinterlässt er auf Mariahs Album nicht.
"8th Grade" liefert sehr anrührenden Beweis von Careys stimmlichem Ausdrucksvermögen: da singt sie zu einer sehr angenehmen Harmonie und in einem lockeren Ryhthmus hauchend, röhrend, seufzend, näselnd, hymnisch, intim einen wirklich schönen Text über Selbstvertrauen.
Der Schlusssong "Portrait" wendet sich den Wurzeln Mariah Careys mit Piano-Soul zu. Auch das ist Weichspülmusik, das kann man nicht leugnen, doch handwerklich sehr gut gestrickt. Mit "Caution" bekommt man ein sehr stimmiges, rundes Album mit kalt-elektronischen und warm-organischen Instrumentierungen.
Die zehn Songs laufen ohne Qualitätsaussetzer gut durch. Es fehlt vielleicht mal eine Story jenseits der Ich-Gefühl-Trennung-Sehnsucht-Geschichten, ein Song, der mehr draußen im Leben stünde. Und vielleicht ein mutiger Funk Tune, zu dem man wirklich gleich tanzen möchte.
Für den Titeltrack "Caution" hat Mariah Carey die flirrend-erotische Stimmung von Future Soul-Acts (The Internet, Kaytranada) inhaliert. Sie macht hier, was sie immer machte, Musik für die Bettkante, und das zeitgemäß.
Allerdings ließ sie ausdruckslose Maschinen-Beats darunter legen. Geld wäre ja sicher da, um einen echten Schlagzeuger zu bezahlen. Vielleicht vergisst man leicht im hippen New York, dass Musik-Acts anderswo auf der Welt schlicht deswegen mit Drum Programming arbeiten, weil sie über keine anderen Mittel verfügen. Egal ob Dancehall-Newcomer in den Randbezirken von Kingston, ob Baile Funk-Projekte in Rio de Janeiro oder Hiplife-Rapper in Accra.
Mariah würde sich keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn sie eine Armada von Percussionisten und Drummern engagiert hätte, und dann wäre dieses Album vielleicht auch 2025 noch relevant. So aber wird es wohl einen kurzen, starken Hype erfahren und dann verglühen.
5 Kommentare mit einer Antwort
Mariah is back! Das Album ist wirklich überraschend gut geworden. Die Singles "GTFO" und "With You" waren ja schon der Hammer aber der Rest des Albums kann das sogar noch überbieten! Das experimentelle "Giving Me Life", das heiße "One Mo' Gen" und DIE Ballade des Albums "Portrait" sind die "holy trinity" des Albums. Der Titeltrack ist auch einer der besten. Der einzige Song mit dem ich nicht wirklich warm werden kann ist "8th Grade".
5 Sterne!
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Album ist okay. Finde es schade, dass ihre Stimme so mit Effekten zugekleistert wurde. Singen kann sie ja doch noch, da müsste das nicht sein. (Schon klar, dass es um Soundästhetik geht, aber ich mag es lieber, wenn man Stimmen als solche erkennen kann.) "Portrait" zeigt, was noch in ihr steckt, wenngleich man doch merkt, dass die Stimme schon 30 Bühnenjahre auf dem Buckel hat. "Caution" könnte aber tatsächlich der lang ersehnte Link zum Spätwerk sein.
Sorry Leute kann jetz nicht schreiben, muss mal Groß!
ja, überraschend solide... hm... na ja
Platz 67. Wieviele verkaufte Einheiten sind das? 12?
„Hype“ (zumindest kommerzieller Hype) sieht anders aus. Schade drum, Album hätte mehr verdient.
Allerdings, Asche über mein Haupt, habe auch ich nichts dazu beigetragen, dass es statt 12 dann 13 verkaufte Platten sind. Dafür earnt sie jetzt 3 Cent von Spotify dank mir.