laut.de-Kritik
Zug- und Zeitreisen mit Songs, in denen alles stimmt.
Review von Philipp KauseTypen an einer Bar, Leute, die Zug, Bus oder mit der Fähre fahren, die Spiele der Erwachsenen und Träume, die sich in Gitarren-Einlagen verlieren: Aus solchem Stoff webt der tiefenentspannte Grandseigneur des Fingerpicking seine kleinen Stories. Die smarte Marke Mark Knopfler steht felsenfest für nonchalante Lieder frei von Drama. War auf der letzten Platte "Down The Road Wherever" das Understatement so sehr zu viel des Guten, dass man einzunicken drohte, wirkt "One Deep River" jetzt hellwach.
Dafür sorgt eine locker-fluffige Mischung aus einerseits Short Story-Skizzen mit Fokus auf den Melodien, auch ein bisschen routiniert gezimmerter Markenware aus Dire Straits-Tagen ("Two Pairs Of Hands", "Janine") und andererseits auch mal einer spröden Rhythmus-Studie mit halbwegs gesprochenem Wort, "Scavengers Yard". Und innerhalb einer so staubtrockenen Nummer wie eben "Scavengers Yard" brechen dann ein weicher Synthie-C-Teil und eine Pub-Rock-Singalong-Zeile als D-Teil die stoische Ruhe kurzzeitig auf.
Knopfler verpackt seine Americana-Vorliebe wieder gut für europäische Ohren. Aktien an seiner Stimme und einzigartigen Vortragsweise zwischen unschuldig-versonnen ("Black Tie Jobs" über Herren mit verhassten, biederen Berufen) und schauspielerisch grummelnd als brüllender Tiger ("where the tigers roar" in "Scavengers Yard"), sie glichen einer Anlage in Gold.
Während etliche Stücke offenkundig in der Stadt spielen, führt "Sweeter Than The Rain" aufs Land hinaus und zwar auf eine Gegend die "arm" und "geschunden" sei, wo die Schneeschmelze nach dem Winter zwar für Bodenbefeuchtung sorgt, aber es nichts Süßeres als den Regen gebe. Der gebürtige Großstadt-Schotte, Kind einer nordenglischen Hafenwerft-Kleinstadt und Wahl-Londoner fügt sich überzeugend ins Setting des Agrar-Chronisten. Dabei scheint er völlig mit seiner Gitarre eins zu sein, versunken in die sanft vorgetragenen Beobachtungen. Wie in diesem Lied wartet auch in "Before My Train Comes" der Protagonist auf einen Zug. So oft wie das auf der Platte insgesamt der Fall ist, würde "Eine lange Schiene" besser als Titel passen als "Ein tiefer Fluss".
Zugegeben, der Schlusssong "One Deep River" ist der Ohrwurm des Albums, ungemein eingängig. Es handelt sich um den Fluss Tyne und bei der Brücke auf dem Cover-Artwork um den einzigen Weg, wie man in der Stadt Newcastle diesen Fluss überqueren kann. "Der Tyne ist für mich, was für die Amerikaner die Route 66 ist. Eine geografische Metapher", erhellt Knopfler in der Schweizer NZZ die Rolle des Rivers. "Er steht für (...) Meine Kindheit, die Jugend, das Wegziehen."
Bester und sehr langer Song ist wohl der Desert Rock "Tunnel 13", wiederum auf einer Zugstrecke, die nüchtern vorgetragene Geschichte von einem Mord in einer gebrochenen, traurigen Melodie von Cohen-Qualität, über "sadness and tears (...) resentment and hate".
Neben der Klangfarben-Mischung von Country ("Ahead Of The Game", "Janine") bis Streicherballade ("Black Tie Jobs", "This One's Not Going To End Well") und neben Knopflers bewusstem Malen jeder Silbe mit dem Mund, als wäre sie ein bedeutender Farbklecks auf einem Gemälde, fesselt das Album durch die ausnahmslos sehr gut komponierten und stilsicher arrangierten Songs. Hier gibt's keine schwachen Momente.
Knopfler stellt sein anderes Reisealbum "Sailing To Philadelphia", das sich wie immer toll verkaufte, dessen Lieder aber einander stark ähnelten und sich rasch abnutzten, in den Schatten. Der 74-Jährige liefert mit seinen Impressionen aus Liverpool, L.A., Utah und aus der Heimat seiner Kindertage jetzt eines seiner besten Werke.
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"Sailing To Philadelphia" war ein Meisterwerk mit unvergesslichen Titeln. Allein der Titelsong und "Prairie Wedding" gehören für mich zu den 100 besten Liedern aller Zeiten. Kein Song auf Knopflers neuem Album kommt für meine Begriffe an dieses Format ran. Und wenn er, einer meiner absoluten Lieblingsmusiker, nicht abseits des Albums erklärt hätte, dass "One Big River" als Song den Tyne meint, könnte man aus dem Song selbst heraus gar nicht drauf kommen. Übrigens ist Newcastle, Knopflers Heimatstadt, beileibe keine "Kleinstadt", sondern mit 300.000 Einwohnern eine Metropole des englischen Nordostens.
Knopfler wohnte in Blyth, 40.000 Einwohner, etwa eine Fahrradstunde, halbe mit dem Auto von Newcastle.