laut.de-Kritik

Im Nebel einen Schatz entdeckt.

Review von

Ach, wie schön muss es sein, ohne Erwartungen oder Druck an einem musikalischen Projekt zu arbeiten. Keine Heerscharen an Mitarbeitern und Fans, die es zu beglücken gilt, keine Notwendigkeit von bahnbrechenden Social Media-Kampagnen in glitzerndem Orange. Stattdessen ein simples Schwarz-Weiß-Video aus dem Wohnzimmer als Ankündigung eines neuen Albums. Das reicht schon, um in ein ganz besonderes Projekt einzutauchen.

Joe Henry, der sich als Produzent von Elvis Costello, Aaron Neville oder Billy Bragg seine Sporen verdient hat und als Singer/Songwriter wunderbare Alben unter eigenem Namen veröffentlicht (nebenbei ist er auch seit knapp 40 Jahren Madonnas Schwager) traf Mike Reid bei einem Songwriting-Camp des Country-Sängers Rodney Crowell. Reid ist weitaus weniger bekannt als Henry, hat sich aber als Songwriter seit den 1980er Jahren in Nashville einen Namen gemacht, durchaus mit Erfolg: 1984 gewann ein Lied aus seiner Feder einen Grammy, 2005 wurde er in die Nashville Songwriters Hall of Fame aufgenommen.

Die Freundschaft begann beim Mittagessen. Monate später meldete sich Henry bei Reid mit einer Melodie im Kopf. "Lass uns vom Steg in den Nebel stoßen und schauen, was wir finden“, lautete Reids Vorschlag. So fingen sie an, Gedanken, Texte und Demos per Mail auszutauschen. In der Regel schickte Henry einen Text, den Reid am Klavier vertonte und einsang. Schließlich hatten sie über 30 Stücke zusammen und beschlossen, ein Album daraus machen.

Zunächst versuchte sich Henry im Studio und sang in Nashville einige Songs ein. Doch war er mit dem Ergebnis nicht zufrieden und entschied schließlich, die Demos als Grundlage zu nehmen und sie behutsam zu ergänzen. Er schickte sie an die Mitarbeiter, die sonst auch an seinen Projekten beteiligt sind, die Kontrabass, Bläser, Schlagzeug, Gitarre, Keyboards einspielten. Bonnie Raitt ("The Bridge") und Rose Cousins ("Leaning House") trugen Hintergrundgesang bei. Letzteres ist das einzige Stück, das von den Aufnahmen in Nashville übrig geblieben ist.

Henry mischte wie gewohnt alles so ab, dass man das Gefühl hat, mitten in einer intimen Session zu sitzen. In dieser Hinsicht ist es also ein typisches Henry-Album. Untypisch ist, dass er diesmal keinen Ton von sich gibt und die Bühne Reid überlässt. Beim ersten Hören klingt das Album also ungewohnt seicht - Reid ist schließlich ein klassischer Country-Songwriter, dazu noch mit einer eher dünnen Stimme. Dafür aber ein sehr guter Klavierspieler. Hat man sich erst mal daran gewöhnt, entfaltet das Album seinen Zauber.

Das Wohnzimmervideo zum Titeltrack fängt die Stimmung gut ein - Reid am Klavier, Henry daneben mit sachter Gitarrenbegleitung und Hintergrundgesang (der in Wirklichkeit aber auch von Reid stammt). Hier sind zwei Freunde am Werk, die sich über den Sinn des Lebens Gedanken machen und sich dabei eine gewisse Neugierde bewahren. Sie stoßen in unbekannte Gewässer vor, aber ohne Furcht. Eher mit der Vorfreude, einen Schatz zu entdecken.

Weniger originell geht es bei den Melodien zu, bei denen Natalie Merchant, Randy Newman und Bruce Springsteen aus der Zeit von "The Ghost Of Tom Joad" hörbar ihre Spuren hinterlassen haben. Nicht die schlechtesten Quellen. Manchmal hätte Henrys schnarrende Stimme im Hintergrund gut getan, doch die zusätzlichen Instrumente verleihen den Liedern auch so die notwendige Tiefe.

Ruhiges Material, das danach schreit, auf der Bühne aufgeführt zu werden. Das Duo wird mit Begleitung tatsächlich auf Tour gehen, momentan sind allerdings nur Auftritte in Nordamerika geplant. Dafür ist das nächste gemeinsame Projekt schon eingetütet: Ihr zweites gemeinsames Album erscheint nicht unter ihren Namen, sondern unter dem Shelby Lynnes, die ihre Texte einsingt.

Trackliste

  1. 1. Sleeper Car
  2. 2. The Bridge
  3. 3. Room
  4. 4. Stray Bird
  5. 5. Life And Time
  6. 6. Martins Ferry
  7. 7. Weather Rose
  8. 8. Whoever We Are
  9. 9. City Of Light
  10. 10. Leaning House
  11. 11. History
  12. 12. So We May

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