laut.de-Kritik

Melancholie, Verpeiltheit und perfekte Songs.

Review von

Der Kontrast zum Kollegen GReeen könnte nicht größer sein auf der melancholischen Platte "Träume und Scherben". Obwohl auch Miwata den touristischen Blick auf Jamaika pflegt und zu Hochkaräter-Beatmakern aus dem Roots-Pop-Umfeld textet. Die Jugglerz haben in bewährter Kollabo-Manier den Großteil der Bubble-Sounds gestaltet, die dieses Mal sehr üppig wirken. Die meisten Tracks bannen den Hörer sofort. "Du Bist Wichtiger" knüpft als einziger an den luftigen Island-Dancehall-Pop des alten "Heart And Soul Riddim" an, auf dem Miwata vor knapp zehn Jahren "Auf Dem Weg Richtung Sonne" loslegte.

"Träume und Scherben" ist ein Konjunktiv-Album über Versuche, gute Vorsätze, Was-wäre-wenn-Gedanken, Haltung zu begangenen Fehlern. Passt also gut in den aktuellen Wahlkampf zu all den Bekundungen mit Augenaufschlag, dass bald alles besser werde in einem runderneuten Land - Miwatas Texte spiegeln den politischen Trippelschritte-Diskurs im Privaten. Die richtigen Entscheidungen im Leben treffen, das richtige Maß an Sicherheit der Partnerin geben ("Unüberlegt"), Gefühle authentisch zeigen ("Seele"), die Folgen einer möglichen Trennung durchspielen ("Stell Es Dir Vor"), die Ursachen einer scheiternden Beziehung mit 'vielleichts' und 'wiesos' durchdeklinieren ("Ohne Dich"). 

Musikalisch betten sich die vielen inneren Monologe mal in Hip Hop-Beats und zartes Folkpop-Ambiente ("Unüberlegt"), Akustikgitarre mit warmen Synths ("Seele"), fluffige Afrobeats-Reggaeton-Folktronic ("Glück"), melodiösen One Drop-Reggae mit Drum-Machine ("BVDEVMG") - so gestaltet sich ein Bündel Songs in Anlehnung ans Konzept des Two Man-Show-Barden, das Miwata auf manchen Tourneen erfolgreich praktizierte. Wenig instrumentaler Input, trotzdem viel Stimmung. Die zeitweilige Nähe zum EDM und zu Trap-Elementen streift "Träume und Scherben" wieder ab.

Dafür setzt sich dubsteppiger Fette-Bässe-R'n'B mit Moog-artigen Sphärenklängen durch und wertet "Hätte Hätte" und "Ohne Dich" zu melodramatischen Prunkstücken auf. Sie sind perfekte Electro-Songs, die zugleich in einem Dancehall-DJ-Set glänzen können. Es gibt zwar mehrere Klangschattierungen auf dem Album, und trotzdem wirkt es einheitlich.

Während "Stell Dir Vor" auch auf einem James Blake-Album stattfinden könnte, erinnern die Synthie-Spuren von "Hätte Hätte (feat. Tua)" an "Grüne Papageien" von Maxim. Die Neuerfindung deutscher 'Urban'-Musik ereignet sich hier nicht. Ein besonders guter Vertreter dieser Marktnische zwischen all den anderen Erwachsenwerden-Selbstfindungs-Szenarien von Majan bis Teesy ist dieses Album dennoch, sowohl wegen seiner Poesie, als auch wegen der klanglichen Verpackung.

Die eingängigen Melodien und Arrangements treffen jenseits des Schlager-Wordings von "Du Bist Wichtiger" ("du bist Medizin") auf witzige, originelle und gut durchgetextete Zeilen. Dabei skizziert der Heidelberger immer wieder das Antiheld-Bild eines Losers, der sein Leben vor lauter Alkohol und Verpeiltheit nicht auf die Reihe kriegt, während sein 'Babe' in einer ganz anderen Welt zuhause zu sein scheint.

In "Seele" heißt es resigniert: "Es war wieder ein Reinfall / Du weißt gar nicht, wer ich bin / (...) Alles, was ich mein', checkst du nicht / Du überlebst keinen Tag in meinen Schuhen" "BVDEVMG" meint trist: "Kommt's mir nur so vor / Oder sind kluge Worte heute alle rar / Nein, ich glaub', ist wirklich so / Wir sind im Arsch". Das Akronym "BVDEVMG" steht für die "Beste Version, die es von mir gibt", eine typische Miwata-Formulierung. Auch geht's um die Selbsteinschätzung des eigenen Alters und der eigenen Alterskohorte, dessen, was die umtreibt: "Noch paar Schritte weiter und du wirst Teil einer Revolution / Doch das dachte sich vor dir schon jede Generation", spottet der Opener "Wie Es Sich Dreht".

Sehr intensiv drückt "Hätte Hätte (feat. Tua)" die Situation des überforderten jungen Mannes aus: "Hitzewelle in mei'm Kopf ist wie Sauna / Kommt immer wieder zurück wie 'n Trauma / Alles zieht an mir vorbei, wie vor'm Aufprall / Bin so durch, dass ich überall auffall'". Verpeiltheit wird zwar nicht auf ewig als Konzept tragen. Im Kontrast zur GReeen'schen Huldigung ans Gras, wo alles vor Zufriedenheit fast platzt, verhandelt dieses (25 Minuten kurze) Album kompakt und effektiv Druck, Verlustangst, Wahrnehmungsstörungen, Dramen im Kampf mit sich selbst, wobei etliche Melodien und Zeilen haften bleiben. So erweist sich "Träume und Scherben" als überzeugende und wohlklingende Kreuzung aus verträumten Sounds und Stories, welche die zersplitterten Scherben einer gequälten Seele kitten.

Trackliste

  1. 1. Wie Es Sich Dreht
  2. 2. Hätte Hätte (feat. Tua)
  3. 3. Ohne Dich
  4. 4. Du Bist Wichtiger
  5. 5. Meilenstein (feat. Gentleman)
  6. 6. Unüberlegt
  7. 7. Seele
  8. 8. Glück
  9. 9. BVDEVMG
  10. 10. Stell Es Dir Vor

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Miwata

Während in Frankfurt oder Berlin noch LKW-Reifen durch die Gangstarap-Straßen gerollt werden, scheint im westlichen Süden des Landes überdurchschnittlich …

Noch keine Kommentare