laut.de-Kritik
Musikalische Klasse, verschenkt an konturlosen Wegwerf-Pop.
Review von Olaf SchmidtImmer, wenn man denkt, man kenne sich im aktuellen Musikgeschehen halbwegs aus, fällt einem plötzlich ein Album wie dieses vor die Füße. Wer ist dieser Typ und wieso darf er auf seiner kommenden Deutschland-Tour in recht großen Clubs spielen? Und das noch zu ziemlich gesalzenen Eintrittspreisen?
Die Kurzfassung: ehemaliges Mitglied einer japanischen Visual-Key-Band namens Dué Le Quartz, Solokarriere als Sänger und Gitarrist, Superstar in seiner Heimat, Virtuose auf seinem Instrument.
Miyavi hat eine ziemlich eigenwillige Gitarrentechnik. Er spielt ausschließlich mit den Fingern, schlägt und slappt die Seiten, komplett ohne Plektrum. Auf der Bühne tritt er entfesselt auf, kredenzt den Leuten einen Sound irgendwo zwischen Funk und Rock, gemischt mit allerhand elektronischen Elementen und vom Feeling her oft bluesig. Extreme Tanzbarkeit inklusive. Nur Miyavi, seine Gitarre, sein Loop-Gerät und sein Schlagzeuger Bobo - das reicht.
Woher ich das weiß? Dem Album liegt eine DVD mit einem einstündigen Konzertmitschnitt bei. Dieser Gig hat es in sich und ist dringend notwendig, um die Klasse dieses Musikers zu erkennen. Auf der Platte selbst kann man davon nämlich leider wenig bis nichts hören.
Der Mann aus Osaka will es jetzt international endgültig wissen und hat sich deswegen in einem Londoner Studio eingemietet und unter anderem den Produzenten von Rihanna und Taylor Swift gebucht. Dabei kam heraus, was herauskommen musste: konturloser Wegwerf-Pop fürs Radio, mit allem, das momentan an Sound-Säuen durchs Dorf getrieben wird.
"Justice" ist genau die Art von Nummer, zu der ich morgens aufwache und meinen Wecker an der Wand zerdeppern möchte. "Horizon" nervt mit einfältigem House-Beat und furchtbarem Jä-ä-o-Refrain, es soll nicht der letzte Song auf dem Album gewesen sein.
Es gibt Ausnahmen, zwei an der Zahl: "Chase It", ein Elektropop-Gitarrenmusik-Zwitter mit fast schon geschrienen Vocals zwischendurch, fällt aus dem Rahmen und lässt sogar mal die Finesse von Miyavis Gitarrenspiel erahnen. Denn allzu oft wird dieses in den Hintergrund produziert, damit die Muttis vor dem Radio beim Bügeln keinen Herzinfarkt bekommen.
Der Vollständigkeit halber sei auch der andere Lichtblick erwähnt: "Hell No", eine gut nach vorn gehende kurze Rocknummer, gefällt ebenfalls. Es nützt aber nichts, denn Lieder wie "Secret" stellen sofort den Status Quo wieder her. Dermaßen ekliger Beischlaf-R'n'B lässt sich nur noch vom "Cry Like This"-Refrain übertrumpfen, in negativer Hinsicht. Whoa-ao-ao-o!
So geht es bis zum Schluss weiter. Wer zwischendurch nicht angewidert abschaltet, sieht sich noch mit einer schlimmen Ballade namens "Guard You" konfrontiert.
Alle Texte auf "Miyavi" sind in englischer Sprache gehalten, über ihre Qualität hüllen wir gnädig den Mantel des Schweigens. Auf den älteren Alben gab es auch Songs auf Japanisch. Wäre hier sicher keine schlechte Idee gewesen. Es hätte den Songs nicht geholfen, aber zumindest etwas Exotik ins Spiel gebracht.
Um nicht unfair zu sein: Diese Songs könnten live, befreit vom ganzen Produzenten-Effekt-Ballast, durchaus funktionieren. Aber so, wie sie auf dem Album erscheinen, sind sie bis auf zwei Ausnahmen ziemliche Grütze.
4 Kommentare
Chapeau. Eine erstaunlich aufgeräumte, hinsichtlich der miserablen Musik sachliche, witzige und vor allem unprätentiöse Rezension. Aber lieber Vater. Diese Musik ist echt nervtötend.
Weltklasse-Technik hat er!
Ich fand ihn früher Anno 2005 zu 'Miyavizm' zeiten sogar richtig gut und hab ihn 2007 sogar live gesehn, aber irgendwie hab ich ihn danach aus den Augen verloren.
Review klingt aber als ob ich nix verpasst hab, neugierig machts mich trotzdem.
Hat Miyavi eine fanatische Anhängerschaft oder wo kommen diese 5 Sterne Leserwertung her? Das kann doch nicht euer Ernst sein.