laut.de-Kritik
Psychedelischer Trip zwischen Badezimmer, Brasilien und Joshua Tree
Review von Philipp Kause"Orange Blood" von Mt. Joy ist die typische Hippie-Scheibe, die Woodstock wieder aufleben lässt. Kürzlich produziert von Leuten um die 30, die aus Philadelphia und Portland stammen. Es trällern die Vöglein unter der Morgensonne, in "Don't It Feel Good". Eiscréme schmilzt in "Bang". Der Titelsong "Orange Blood" feiert Musik als solche, "leave the record on / singing the song."
Während man auf Albumlänge alten Folkrock der Marke Jackson Browne identifiziert, werden Mt. Joy oft mit den Lumineers in Verbindung gebracht. Was wohl nahe liegt, da die Kollegen auf demselben Label starteten und zu Ikonen des heutigen Folkpop wurden. Mt. Joys hymnische Struktur mit abrupten Brüchen etwa im "Johnson Song" nährt einen solchen Vergleich. "Wir sind mit denen getourt. Und wir finden sie toll. Nette Leute, beeindruckender Erfolg", schätzt Mt. Joy-Frontmann Matt die Lage ein. "Aber ich bin mir nicht sicher, ob da wirklich so viele Ähnlichkeiten sind. Aber ist doch gut: Wenn der Vergleich Hörer zu uns führt, lassen wir ihn gerne so stehen."
Meist jedoch gibt es wenig Lumineers-Style. Sanft, zart und hymnisch ist nur die eine Seite. Derweil türmen rohe Amplifier-Gewalten schon mal eine Wall of Sound in "Lemon Tree" auf und kitzeln aus einer zuckersüßen Melodie brachiale Entladungen heraus. Analoge Keys sprechen in "Phenomenon" wie ein Vocoder. Sie erzählen in einer kecken, psychedelischen und neo-soulig angejazzten Weise ihre Story und sagen mehr als Worte.
Man kann sich treiben lassen, hinein in einen Trip mit der Musik. "Du kannst eine psychedelische Erfahrung ohne Pilze oder LSD erleben, ja, denn in erster Linie hat das was mit dem Wahrnehmen des Moments, quasi wie beim Meditieren, zu tun", versucht sich Sänger und Gitarrist Matt im Interview mit uns an einer Erläuterung. "Dazu kann ein Setting nachts, eine Gruppe von Leuten beitragen. Aber Musik bringt diese Erfahrung, Musik ist ein großartiges Element, um Menschen den Moment spüren zu lassen. Du hörst das Stück, und im selben Augenblick lässt du dich in den Gitarren-Part fallen, vertiefst dich beim Hören in den Text, was auch immer. Du erlaubst dir selbst in dem Moment gefangen zu sein, und ich hoffe, unsere Musik hat diese Wirkung eines Trips und steigert das bewusste Erleben." Insbesondere in einer Zeit, in der viele Leute eskapistisch vor Problemen davon rennen, sei so ein Erlebnis wichtig, fügt der Mt. Joy-Haupt-Songschreiber an.
Die Klavier- und Keyboards-Abschnitte entstehen getrennt von seinen Kompositionen. Die Band lässt Tastenspielerin Jackie Miclau, die eine klassische Ausbildung hat, hier freie Hand. "Wir anderen kommen mehr vom Classic Rock", erklärt Matt. Die Keyboards entfalten hier oft ein Eigenleben, sorgen mal für R'n'B-Drive, Alternative Country-Momente oder in "Orange Blood" für das groovende Pulsieren eines Blutstroms. Warum heißen Opener und Album so? "Das kam, als ich hier in der Wüste war, in Joshua Tree", erinnert sich der Sänger an die Entstehung des Songs. "Ich nahm die Sonne als etwas wahr, das alles am Laufen hält. Und von der Farbe Orange geht für mich eine einzigartige stabilisierende Energie aus, Wärme, Positivität, und ich suchte, während die Platte in der Pandemie entstand, eine Kraft, die erdet."
Die Wüste zog in der Pandemie schon Billy F. Gibbons an. Portugiesische Zeilen verleihen Mt. Joys Titelstück aber auch den Urlaubs-Vibe einer frischen Brise am Meer. Sie flossen ein, weil Matts Freundin aus Brasilien stammt und über seine Versuche frustriert war, wie holprig er sich beim Erlernen der Sprache anstellte. So übte er die schöne und von Natur aus musikalisch klingende Sprache im Song. "Ich habe, während wir die Platte machten, eine Menge portugiesischer Musik gehört. Hoffentlich hört man etwas davon heraus, ein bisschen zumindest." In der Tat, auch musikalisch zeigen sich die Songs etwas weniger rustikal-rockig als beim Vorgänger "Rearrange Us". Stellenweise weicher, ziemlich verträumt, teils aber härter. Man lotet mehr aus. Ein Wechsel der Plattenfirma half.
Vom Folk-Label Dualtone mit hochspezialisierter Singer/Songwriter-Ausrichtung, bewegte sich die Band zum Generalisten Island, unter dem Dach des Giganten Universal. Ein Vorteil? "Gute Frage", findet Matt Quinn im Interview. "Wir haben weiter ein gutes Verhältnis zu Dualtone, die machen gute Arbeit. Ja, sie sind sehr spezifisch. Dagegen spüren wir jetzt, mit einem neuen Team: Wir können in alle Richtungen ausscheren, Psychedelia, oder was immer wir machen, und man unterstützt uns." Manko: Das angekündigte und orangefarbene Vinyl ist zum Release kaum lieferbar und wird nur im Webshop der Band mit hohen Versandkosten erhältlich sein. Schade, bei einem so verspielt-farbenfrohen Cover-Artwork. Bei Dualtone hinterließ man derweil noch eine schöne, atmosphärische Live-Doppel-LP, die zum Lockdown-Ende im Amphitheater "Red Rocks" entstand.
Wandelbar neben dem Stil zeigt sich auch die Stimme des Frontmanns, die im Closer "Bathroom Light" ins Falsett aufsteigt. Schaue man im Schein der Badezimmer-Leuchten in den Spiegel, erlebe man einen Moment mit sich selbst allein, in dem man niemandem einen Fake vorspielen könne. Hier soll man lernen, sich selbst zu akzeptieren, so das Lied. Durchaus erfüllen die Texte den klassischen Folk-Auftrag, zum Nachdenken zu bringen.
So sind die in "Ruins" besungenen Ruinen nicht steinern, sondern Plastikmüll im Meer. Für mich klingt dieser Song musikalisch schwer nach dem frühen Dylan. "Ach ja?!", überlegt Matt. "Ja, ich hab definitiv viel Bob Dylan gehört, als ich das komponierte. Gut möglich!" Dass die Musik nostalgisch wie aus den 60ern anmute, sei sowieso das größte Kompliment, das man ihm machen könne, sagt er uns im Gespräch. "Was wir versuchen, ist ehrliche Musik zu machen, und zu hoffen, dass sie zeitlos und nostalgisch erscheint." Mt. Joy reihen sich damit nahe der Allah-Las ein. "Orange Blood" ist rundum schön geworden.
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