laut.de-Kritik
Balanceakt mit leichter Schieflage.
Review von Holger Grevenbrock"Shape The Future" lautet der ambitionierte Titel des neuen Albums des Downbeat-Veteranen. Eine Zukunft, wie sie sich George Evelyn ausmalt, führt zurück zu den Ursprüngen unseres Daseins, beeindruckend vorgeführt im Video zu "Back To Nature". Collagen- bzw. Kaleidoskop-artig findet das Leben zu immer neuen Formen. Altes und Neues steht harmonisch beisammen. Die Balance aus Yin und Yang ist das Thema dieses Albums. Ein Ausgleich der nach Evelyn dringend zur Bewältigung zukünftiger Probleme wie den Klimawandel benötigt wird.
Der Kopf hinter Nightmares On Wax bezeichnet das Endprodukt als das Ergebnis einer spirituellen Reise, die ihn den Weg in sein tiefstes Inneres wies und zugleich quer über den Erdball schickte, "eine körperliche und emotionale Reise", wie er sagt: "Man ist jeden Tag ein neuer Mensch, insofern könnte ich so oder so nie dasselbe Album noch einmal machen – der ganze Ausdruck verändert sich." Insofern kreisen die Songs um große Themen wie Wiedergeburt und Religion. "Shape The Future" atmet den Geist der Weltmusik. Evelyn begibt sich auf eine musikalische Suche nach der Formel, die den Menschen der Gegenwart mit der Natur als Einheit denken lässt.
Die Frage stellt sich nur, ob auch der Sound des N.O.W.-Heads auf "Shape The Future" seine goldene Mitte findet oder nicht doch gefährlich ins Torkeln gerät. Der bereits erwähnte Eingangstrack macht jedenfalls vieles richtig. "Back To Nature" ist eine siebenminütige Entdeckungsreise für Augen und Ohren gleichermaßen. Mit sonorem Bass beschwört Feature-Gast Kuauhtli Vasquez die Kräfte der Natur, während Evelyns Dub-Sound Beat auf Beat einen ganz eigenen Kosmos erschafft.
Tracks wie "On It Maestro" oder "Tomorrow" beweisen dabei einmal mehr: So dringend das Unterfangen, die Welt zu retten auch sein mag, die Art und Weise mit der Evelyn damit umgeht, ist der ihm typischen Langsamkeit verpflichtet. Die Symbiose aus jazzigen Elementen, Dub und Gospel steht auch in Shape The Future für den typischen N.O.W.-Sound.
Die bessere Hälfte ist jedoch ohne Frage die zweite, allen voran "Citizen Kane", das gleich zweimal vertreten ist. Kommt der Track in der ersten Version noch allein mit Mozez aus, steuert Allen Kingdom zum Ende des Albums noch ein paar Lines bei. Sowohl Mozez als auch Kingdom machen einen großartigen Job. Voller Ungeduld, wie im Fieber, bahnt sich der Percussion-Sound seinen Weg. Ein wahnwitziges Stück Musik, dem Mozez die Krone aufsetzt, wenn er resignierend konstatiert: "They drive me crazy."
Bedenkt man, zu welchen kreativen Höhenflügen Evelyn noch immer fähig ist, fällt es schwer, einen leichten Anflug von Enttäuschung zu verbergen. Vielen der Tracks fehlt es schlicht an der letzten Konsequenz. Um es im Fußball-Jargon auszudrücken, ist das Gesamtprodukt zu wenig zwingend im Abschluss.
"Deep Shadows" überzeugt noch mit ausgetüfteltem Stimmungswechsel und einem Piano-Loop, der sich tief einprägt. Auch "Gotta Smile" stiftet richtig gute Laune und wirft den Hörer mit seinem futuristischen Samba-Sound in ein zum Feiern aufgelegtes Rio de Janeiro. Doch daneben finden sich auch vermehrt Tracks, die zum Skippen einladen. "Tell My Vision", "Tenor Fly" oder auch der Titeltrack hinterlässt über die Spiellänge hinaus kaum Eindruck.
Allerdings erscheint es müßig, sich die Frage zu stellen, ob mehr drin gewesen wäre, hätte man nur den Mut gefunden, das Album auf einige wenige Songs herunterzukürzen. Eine konzentrierte Version von "Shape The Future" wäre wünschenswert gewesen, dennoch beweist Evelyn, dass auch 2018 mit ihm zu rechnen ist. Er breitet den Klangteppich einer farbenprächtigen Zukunft aus.
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