laut.de-Kritik
Über den Songs liegt ein hauchzarter Nebelschleier.
Review von Toni HennigAm 88. Tag eines jeden Jahres feiern Musikfans den Piano Day. Den haben eine Gruppe von Musikern und Musikliebhabern rund um den Pianisten und Komponisten Nils Frahm 2015 ins Leben gerufen. Und für den diesjährigen Piano Day hat Frahm sich etwas ganz Besonders einfallen lassen. Mit "Graz" veröffentlicht der 38-Jährige nämlich Material, das er seit 2009 unter Verschluss gehalten hatte. Zugleich ist "Graz" das erste Album, das er für das Londoner Label Erased Tapes einspielte. Das nahm der in Berlin lebende Hamburger für seine Abschlussarbeit im Haus für Musik und Darstellende Kunst an der Kunstuniversität in der titelgebenden Stadt auf.
Der Schönklang von "Wintermusik" und die ambitionierteren Ansätze ab "All Melody" lassen sich auf dieser Platte nur erahnen. Zu den Aufnahmen sagt Frahm selbst: "Sie klingen für mich wie eine jüngere Version von mir selbst. Und viele der musikalischen Ausdrucksformen von damals wären für mich mittlerweile unmöglich nachzuahmen." Von seiner Vergangenheit konnte er sich aber trotzdem nicht ganz lösen. "Hammers" und "Went Missing" gab es nämlich schon in längeren Versionen auf dem 2013er-Album "Spaces" und "Because This Must Be" sowie "O I End" erschienen 2017 und Anfang dieses Jahres als Single-Veröffentlichungen.
Das Album beginnt mit "Lighter", mit dem sich Nils Frahm mit zaghaften, melancholischen Tönen behutsam an sein Instrument herantastet. "O I End" bildet das komplette Gegenteil, betont er doch seine rauschhaften Qualitäten, wenn er eine düstere Akkordfolge an die nächste reiht. Düster bleibt es auch im weiteren Verlauf. Es liegt nämlich ein hauchzarter Nebelschleier über den einzelnen Tracks. Dabei pendelt die Scheibe zwischen nachdenklichen Sounds und eruptiven Momenten.
"Kurzum" und "Crossings" vereinen beides. Die erstgenannte Nummer baut eine subtile Spannung auf, die sich gegen Ende hin mit dramatischen Schlägen entlädt. Das zweitgenannte Stück tänzelt zwischen kunstvollen Klangfiguren und tieftraurigen Momenten hin und her. Auf dem Kloß im Hals folgt immer wieder eine leiser Anflug von Hoffnung.
Dazwischen hört man in "Because This Must Be" etwas lieblichere Klänge, während man es in "And Om" mit schweren Gewitterwolken zu tun bekommt. Mit dem anschließenden "Hammers" liefert Frahm schließlich ein hypnotisches Meisterstück ab, das von einprägsamen Minimal Music-Rhythmen- und Gesängen lebt.
Das Ende des Albums fällt verhältnismäßig zurückhaltend aus. In "About Coming And Leaving" erkundet der Enddreißiger die Räume zwischen den Tönen, und in "Went Missing" wirkt er ganz in sich versunken, wenn mit hellen, tröstenden Akkordfolgen inmitten der Melancholie zarte Sonnenstrahlen zum Vorschein kommen.
"Graz" zeigt einen Musiker, der die Möglichkeiten seines Instrumentes ausprobiert, um eine individuelle Klangsprache zu kreieren, die er auf seinen späteren Alben perfektioniert. Letzten Endes stellt die Platte eine große Bereicherung für die Diskografie Nils Frahms dar, steht doch weniger die intime Seite des Pianisten und Komponisten im Vordergrund, sondern mehr die atmosphärische, ohne dass die Magie des Augenblicks verloren geht. Zur Überbrückung bis zum nächsten Studiowerk kommt dieses schillernde Kleinod gerade recht.
1 Kommentar mit 7 Antworten
Nils Frahm ist das was Steven Wilson gerne wäre. Stilsicher, lieferfest und über alle Zweifel erhaben. Wieder mal gut von Nils.
btw. das neue Prelude von Max Richter klingt vielversprechend
Der Vergleich hinkt stark.
Um nicht zu sagen: Kommt auf einem Bein daher.
auf einem Fuß vielleicht
Besser Klavierspielen kann der nämlich auch! Ihr seid es doch selbst, die hark stinken!
na wenn man was gegen die Idole schreibt, da wirds schon mal bitter. War aber keine Absicht da einen Riss in der Matrix reinzubringen. Einzig meine private Meinung.
Nicht falsch verstehen, bin so von der Wertung her hier mehr Pro Piano / Contra steriler Edel-Pop eines mir bereits vorher schon zu häufig zu steril glatt klingenden Prog-Pops...
Und auch wenn sie sich beide aus völlig verschiedenen Ecken heraus mit Babyschritten Richtung "anspruchsvoll produzierter Konsens-Pop" zu bewegen scheinen mit den Jahren - Find die beiden halt von der Herangehensweise an Musik bis über Klangkosmos hin zu Atmosphäre überhaupt nicht wirklich vergleichbar.
ok