laut.de-Kritik
Kraftwerk und Cure, Johnny Depp, Roger Moore ...
Review von Michael SchuhMit St. Pauli verbindet Restdeutschland in erster Linie noch immer eine Kiezmeile, der Sportinteressierte einen Weltpokalsiegerbesieger und der Spaßvogel Lotto King Karl. Freunde der elektronischen Musik inklusive Herbert Grönemeyer wissen dagegen schon seit 2003, dass Ocker nicht nur Teil des Wortes Pop Up-Blocker ist, sondern auch eine Vier-Mann-Kapelle beschreibt, die sich in ebenjenem berühmten Stadtteil einen Proberaum teilt.
Nach "1234 Love", einem Debüt, das nur die Bezeichnung atemberaubend gelten ließ, bestätigen Ocker drei Jahre später die gefühlte Gewissheit, dass aus ihren 15 Minuten Ruhm schnell eine kleine Ewigkeit werden könnte. "Coldplay, A-ha - Can, Hubert Kah - Kraftwerk und Cure - Johnny Depp, Roger Moore - Blumfeld und Air - The Beatles und Cher - Moslem und Christ - Hauptsache es ist - Popmusic", konstatieren die Herren Heimann, Huber, Kinat und Petersen gewohnt slogansicher in der formidablen Vocoder Pop-Single "Hauptsache Popmusic".
Nebenbei legt man faulen Journalisten damit gleich noch ein paar Soundkoordinaten an die Hand, könnte ja sein, dass sich mal einer die Mühe macht, einen neuen Claim für "Die Air von St. Pauli" zu überlegen. Hmm, schwierig, denn auf "Public Transport" sind Ocker mehr Air denn je, dafür tritt der Abrockbass in den Hintergrund. Neuerdings integriert man dafür eine Prise Coldplay ("Public Transport") und im C-Teil des superben Instrumentals "Last Night The Secret Service Saved My Life" schweben dann auch The Cure mit "Just Like Heaven"-Antrieb vorbei. Und wo die Namen gerade so schön droppen: So liebreizend wie in "Honesty" kamen Ocker den Pet Shop Boys noch nie auf die Erfolgsschliche.
Womit die heraus stechenden Album-Highlights eigentlich aufgezählt wären. Mittlerweile leisten sich Ocker nämlich auch mal den Luxus der Stagnation, wie im mediokren "Day By Day" oder dem seltsamen Denglisch-Feldversuch "The Sound Of Underground". Macht natürlich nichts, so lange man nur ein ehrenwertes Ziel im Visier hat, in Ockers Fall: den geheimen Code guten Synthie Pop-Songwritings weiter zu entschlüsseln. Ziemlich nah kommen die Hamburger diesem Wunsch auch mit dem Indie-Popstück "Country Club", das gegen Ende behutsam eine Frauenstimme einführt, die in der nachfolgenden Schlagerballade "Herz Aus Glas" gleich alleine die Regie übernimmt.
Ein wenig verwirrend ist letztlich allenfalls, dass die Pop Up-Rocker ihr neues Werk zwar "Public Transport" betiteln, im Vergleich zum Debüt aber doch ein wenig auf die Bremse treten, um sich verstärkt dem Anteil sphärischer Beiträge zu widmen. Die individuell-verspielte Jungfräulichkeit der frühen Jahre (ha!) und der charmante Kiez-Dreck ist dabei ein Stück weit auf der Strecke geblieben, um sich stärker einem konzeptuellen Rahmen unterzuordnen. Der Star ist die Mannschaft. Ob das Quartett nun bald auch in Tokio auf die Erfolgsspur einbiegt, wo das herrlich an Panoramen-Künstler Andreas Gursky angelehnte Coverfoto aufgenommen sein könnte? Ocker big in Japan? "Helz Aus Glas"-singende Metropolen-Kids in Fernost? Wer weiß. Die Ocker-Tournee startet in der Tanzhalle St. Pauli.
Noch keine Kommentare