laut.de-Kritik
Der Arcade Fire-Intimus verlässt seine Fantasiewelt.
Review von Andrea TopinkaFür seine letzte Platte "Heartland" erschuf Owen Pallett den jungen Farmer Lewis, der im Verlauf der Geschichte dem wahren Wesen seines Schöpfers auf die Spur kommt, und nutzte als Setting eine Fantasiewelt namens Spectrum. Diese lässt "In Conflict" weit hinter sich. Stattdessen erzählt das Album von Owen Pallett und seiner Sicht auf die Welt, ungewohnt direkt verglichen mit seinem bisherigen Output.
Während der gut dreijährigen Aufnahmen unterstützten ihn das FILMharmonic Orchestra Prag, mit dem er zuletzt an Arcade Fires "Reflektor" arbeitete, und neben anderen Gastmusikern auch Brian Eno. Obwohl der vor allem Backing Vocals liefert, scheint doch die ganze Platte von Enos Experimentierfreude beeinflusst: Pompösen Kammerpop kombiniert Pallett mit elektronischem Gefrickel, Brüchen und Gepiepse. Die Violine, sein Markenzeichen, fehlt in keinem Arrangement, Synthesizer und Percussions dieses Mal aber ebenso wenig.
Ein mitreißender Strom aus zuckenden Streichern und polternden Drum-Beats bahnt sich seinen Weg in "The Riverbed". Durch die Midtempo-Nummer "In Conflict" führt Pallett laut eigener Aussage mit "maskuliner" Instrumentierung: Bass, Gitarre, Drums und Keyboard-Sounds geben deswegen den Takt an. "Song For Five & Six" dominieren hektische Synthies und Percussions.
"On A Path" führt in seinem Toronto-Überdruss nicht nur inhaltlich "This Lamb Sells Condos" von Palletts Final Fantasy-Platte "He Poos Clouds" fort, sondern lehnt sich nach einem Streicher-Intro auch rhythmisch an. Im Refrain gehen die gezupften Noten in Orgelpfeifen, atmosphärische Geigenstriche und Brian Enos Hintergrundgesang über.
Jeder Song ist anders aufgebaut und macht aus "In Conflict" ein akustisches Spektakel, das komplex ist und dramaturgisch aufregend bleibt. Pallett beherrscht sein Handwerk, egal ob er Niedergeschlagenheit ("Chorale") oder Lust ("Infernal Fantasy") zum Ausdruck bringen will.
Seine leicht entrückte Stimme setzt sich über die ausgefeilten Klanglandschaften hinweg und erzählt von Lebenserfahrungen, Einstellungen, Theorien und dem Versuch, den Alltag irgendwie zu bewältigen. Mitteilen und Diskutieren steht dabei im Zentrum, nicht Selbstmitleid oder Belehrung.
"The Secret Seven" beschreibt die Kämpfe, die er als Homosexueller austragen muss: "And it don't get better / The hunger, even back in his arms / No the water will get higher the faster you run". Der Song endet mit seiner eigenen Telefonnummer als Angebot zu kommunizieren und als Kritik an der Einseitigkeit der "It Gets Better"-Youtube-Aktion des LGBT-Projekts.
Liebe und Sexualität gehören zu den Leitmotiven der Platte: "The Passions" skizziert eine Affäre mit einem deutlich jüngeren Mann, "I Am Not Afraid" und "The Riverbed" sprechen über Kinderlosigkeit: "On the day that you find your 30s have left you childless / Remember when you meet your coupled friends with unease". Depression und Sucht kehren als Themen ebenfalls wieder, etwa in "The Sky Behind The Flag": "We drank away the difficult times / A sheet of noise to wash away our grievance".
Düster, intensiv, ausgetüftelt: "In Conflict" zeigt, dass Owen Pallett auch außerhalb von Fantasiewelten ein großartiger Songwriter ist. Der Einstieg fällt vielleicht nicht so leicht wie bei "Heartland". Die zahlreichen Perspektiven und Denkanstöße, die einem der Kanadier mit auf den Weg gibt, dürften den Hörer jedoch mindestens so lange beschäftigen wie die Kompositionen selbst.
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