laut.de-Kritik
Der Techno-Veteran hat die Zukunft fest im Blick.
Review von Daniel StraubVor genau zehn Jahren ist Techno noch wie ein pubertierendes Kind, das seinen Eltern schneller über den Kopf wächst, als es denen lieb ist. In jener Zeit des Aufbruchs und des Erwachsenwerdens erscheint der Longplayer "45 RPM" des Berliner Produzenten Paul Van Dyk, der die Pubertät auch noch nicht lange hinter sich gelassen hat. Inzwischen gehört Techno zum etablierten Kanon der Popgenres, und Paul Van Dyk ist nicht mehr der Jüngste. Zeit, Zwischenbilanz zu ziehen, das Geschehene Revue passieren zu lassen. "Reflections", das neue Album von Paul Van Dyk setzt genau hier an.
Dabei vermeidet der Mann, dessen Künste an den Plattentellern ihm Engagements in aller Herren Ländern einbringen, den verklärend auf die Vergangenheit gerichteten Blick. Klar spürt er mit dem Opener "Crush" seinen trancigen Wurzeln nach, dreht mit "Connected" das Zeitrad um einige Jahre zurück, als die ersten Töne des mächtig rollenden Grooves von "For An Angel" die Erlösung auf dem Dancefloor bedeuteten. Mehr nostalgische Anwandlungen finden sich auf "Reflections" nicht.
Stattdessen hat Van Dyk die Zukunft fest im Blick. Er entwickelt sein Produzentenrepertoire konsequent weiter, arbeitet an einer Musikerkarriere, die sich auf lange Sicht nicht an modischen Trends festzumachen braucht. Konjunkturunabhängigkeit heißt eben auch für einen Musiker wie Paul Van Dyk das Zauberwort in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation. In diesem Sinne geht er den schon auf "Out There And Back Again" eingeschlagenen Weg in Richtung Pop konsequent weiter.
Bestes Indiz dafür sind Tracks wie "Like A Friend" oder "Knowledge", die beide auf ihre Art Neuland beschreiten. "Like A Friend" lässt die kühle Technoästhetik früherer Tracks weit hinter sich und öffnet sich dank den Vocals von Jan Johnston einer soulig warmen Atmosphäre. Einen ganz anderen Weg geht Van Dyk mit "Knowledge", dessen Big-Beat-Fundament unverhohlen auf den Dancefloor schielt. Nicht ganz unschuldig daran ist DJ Tomekk, der bei "Knowledge" mitproduziert hat. Dass Van Dyk auch anders kann, zeigt er auf der zweiten Single-Veröffentlichung "Time Of Our Lives", die dank dem klaren Gesang von Vega 4 Sänger John McDaid einem Ohrwurm am nächsten kommt.
Paul Van Dyk macht mit "Reflections" einmal mehr seine Ausnahmestellung in der Produzentenszene deutlich. Ohne akustische Peinlichkeiten vom Stapel zu lassen, integriert er neue Musiker in seine Produktionen und sucht mit ihnen nach neuen Ufern. Vorsichtig zwar, reflektiert eben, aber dennoch bestimmt.
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