laut.de-Kritik
Der Dichteste unter Deutschlands Denkern.
Review von Franz MauererWie frustrierend muss es für die Arbeiter im Rapweinberg des Herren gewesen sein, als "Bildungsbürgerprolls" jene kommerziellen Höhen erreichte, die dem Frauenverächter Bronsonscher Ausmaße, MC Bomber, und dem Weddinger Chefhedonisten Shacke One trotz vieler Bemühungen bislang verwehrt geblieben waren? Pöbel MC muss man lassen, dass seine Nische als Punk der deutschen Rapszene offensichtlich unbesetzt war. Der gebürtige Rostocker liefert mit "Pöbel Sports Tape II" nun das Sequel zum Durchbruch, das natürlich ein Stück weit zum Statement und demonstrativen Eigenanspruch gerät.
Pöbels Leib- und Magenproduzent Tombs Beats zeichnet erneut für die Beats verantwortlich, dementsprechend schnell fühlt man sich heimisch in "Schlauer Hauer". Die alte Krankheit von Pöbel, schon nachzuhören auf "Farbverbrecher*innen Vol. 1" oder "Rollkragenschläger": Die druckvollen Aggro-Songs sind stimmlich nicht seins, er rotzt nicht wie ein Fresh Polakke oder Kaisimir1441 - um im Berliner Kosmos zu bleiben – sondern bleibt bei 80 Prozent, wenn 100 gefordert wären.
Dynamik besitzt der Lichtenberger allerdings, und seine Diskographie wies schon mehrfach nach, dass er zusätzlich über die Varianz verfügt, mehr aus sich zu machen. Der Opener wartet noch mit okayem Beat auf, "Mea Culpa" stellt sich dann aber tatsächlich als Fehler heraus. Der Refrain geht in der schwächlichen Produktion völlig unter, der Song hat bestenfalls Demo-Charakter.
Dann zieht die Sportlerplatte gottlob an, die Single "Diskurssex" zeigt den Stänkerer von der besten Seite: Unvergleichlich weniger nervig als PTK, Alice Dee und insbesondere Juse Ju teilt Pöbel politisch nach links und rechts Schellen aus, dass es eine Freude ist. Nie Selbstzweck und immer selbstreflektiert und genau dorthin, wo es jeder Gruppe wirklich wehtut. Dazu gesellt sich ein stärkerer, breiter aufgebauter Beat, der dem MC in den beiden vorherigen Songs schmerzlich fehlte. Je mehr Extravaganzen Pöbel neben der Instrumentalisierung ausleben kann, desto besser.
"Bock Auf Crime" hätte gut auf "City Tarif" gepasst, dementsprechend heftig bounct die ultralibertäre Hymne gegen Schweine, Regelwächter, Moralinsauerlinge, die live mit Sicherheit für Abriss sorgen wird. "Niemals Sitt" macht es ebenfalls exzellent, ein nur vordergründig fröhlicher Suffrap im Stil von Tiger & G.G.B., stumpf wie Plastikäxte im Mittelaltermarkt käme der Track beim Publikum von Tobee auf Malle auch gut an. Aber manchmal wäre jede Zurückhaltung eben ein Zaudern.
Auf "Rauch" harmonieren Pöbel und Tombs dann so gar nicht: Beat, Songkonzept und Vortrag passen nicht recht zusammen. Pöbel kann sich nicht entscheiden, ob er auf Emo-Rap oder Institutionswut machen soll, auch handwerklich ist seine Stimme nicht gut eingearbeitet. "Zyankalikink" fährt das Qualitätsniveau dann wieder hoch, den Halleffekt hat der MC exzellent im Griff. Die Misanthropie erreicht Prezidentsche Ausmaße, der Song flutscht aus einem Guss und gleichzeitig enorm abwechslungsreich, eine ganz bittere, hasserfüllte, großartige Pille.
Im Closer "I.L.M.N.S" will sich der Berliner nicht stressen lassen, und fragt sich als Hörer schon, ob er merkt, dass er im selben Track gefühlt 50 Straftaten schildert und ebenso viele Subgruppen angreift. Der Beat stimmt jedenfalls, und die Paradoxie ist unvermeidlich immer dort, wo Pöbel MC ist: der Dichteste unter Deutschlands Denkern.
3 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
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Wieder mal gewohnte Qualität vom Pöblus Rhetorikus. Das Tape ist etwas düsterer als die Anderen geraten. Diskussex, Bock auf Crime und ILMNS sind grandios. Der Rest geht auch gut rein, mir fehlen aber ein paar Auflockerungen, wie das kongeniale Söhnlein Brilliant oder Saufen, Kloppen und Rammeln. Finde es wunderbar wie er reflektiert, aber zugleich angenehm ambivalent und locker all die schweren und leichten Themen an den Hörer bringt.
Für mich gerade die Leuchtgestalt im deutschen Rap.