laut.de-Kritik
Toller Auftritt mit reichlich Spott und entlarvender Sozialkritik.
Review von Ulf KubankeMit Reinhard Mey ist es ein wenig wie mit Cohen oder Aznavours aktuellem Lebenszeichen. Intensität und Ausdruckskraft on Stage sind mit über 70 Jahren eher gewachsen und präsentieren sich handwerklich perfekt. "Das alte Fieber lodert noch lichterloh./ Und es schüttelt mich, doch ich will es ja so."
Die Vitalität dieses Konzertmitschnitts ist erstaunlich. Neben der musikalischen Qualität des dicken Backkatalogs leben Meys Gigs vor allem von seiner charismatischen Persönlichkeit. Die sehr natürliche und noch immer erstaunlich jungenhafte Sunnyboy-Ausstrahlung ergänzt nun die Weisheit des alten, lebensweisen und gelegentlich melancholischen Poeten. Damit stellt er sich und zwei Dutzend Liedern ein Echtheitszertifikat tiefen Gefühls aus.
"Über Den Wolken" wird von ihm ebenso erwartet, wie es auch kein Alice Cooper-Konzert ohne "School's Out" geben könnte. Doch auch hier entzieht Mey sich schnöder Berechenbarkeit, indem er das Lied weder zum Anwärmen noch als Zugabe zum Besten gibt. Stattdessen platziert er es dramaturgisch an jene Nahtstelle zwischen Heiterkeit und Weltschmerz die den Evergreen fern von aller Patina erstrahlen lässt.
Ohnehin bekommen Nostalgiker nicht viel mehr als die kalte Singer/Songwriter-Schulter zu spüren. Der überwiegende Teil der gebotenen Stücke stammt aus den letzten 25 Jahren und nicht aus dem ersten Vierteljahrhundert seiner Karriere. Mey ist einer der wenigen seiner Zunft, die den Unterschied zwischen ewiger Gestrigkeit und Zeitlosigkeit nicht nur sehr genau kennen, sondern diesen Tanz auch beherrschen. Dem Spannungsbogen des Auftritts tut dies sehr gut. Seine späteren Alben verfügen über große lyrische Reife und melodische Kraft. Als Herzstück gibt es mehrere Songs des höchst gelungenen "Dann Mach's Gut" (2013).
Besonders gut ist Mey, wenn er den desillusionierten aber ungebrochenen Romantiker heraus lässt. Das ist keine Rolle, sondern geht biografisch wie philosophisch weit über reine Darstellung hinaus. Die aktuelle Killerballade "Wenn Du Bei Mir Bist" kombiniert er passend mit "Ich Liebe dich" ("Alles Geht" 1992).
Hinzu treten Lieder, die gleichermaßen Humor, Spott und entlarvende Sozialkritik bereit halten. Jedem der dem noch immer dem zu weit verbreiteten Vorurteil aufsitzt, Mey sei eine art Oberlehrer mit Klampfe, sei das textliche Kleinod "Gute Kühe Kommen In Den Himmel" (2013) empfohlen. Großartig, wie er mit scheinbarer Idylle anfängt, um im Verlauf von Massentierhaltung bis EU-Bürokratie allen Ignoranten das verdiente Fett über zu braten. Dabei verlässt ihn nie diese immer ein wenig schnoddrige Leichtigkeit in Anschlag und Wort. Heraus kommt ein herrlich effektiver Songbastard aus Protestlied und Satire.
Dem gegenüber stellt er Melancholie, mal zart, dann wieder mit der großen Geste des erfahrenen Chansoniers. Die beiden neuen Lieder "Dann Mach's Gut" und besonders das Requiem "Fahr Dein Schiffchen Durch Ein Meer Von Kerzen" erinnern dabei indirekt an den Tod seines Sohnes. Dennoch verkümmern die Songs nicht eine Sekunde lang zum Runterzieher. Als gewandter Conferencier lotst Mey sein Publikum durch das Wechselbad der Gefühle, lässt Momente der Traurigkeit zu, ohne sich oder sein Publikum zur Beute von Depression oder Verzweiflung zu machen. Die Souveränität ist beeindruckend und schlichtweg Weltklasse.
Als Höhepunkt steht einer seiner besten Tracks, "Das Narrenschiff" ("Flaschenpost" 1998), genau im Zentrum des Konzerts. Musikalisch ist es eine filigrane Mischung aus sanftem Folk und angedeutetem Shanty. Textlich indes entpuppt sich das scheinbare Seemannslied schnell als anschaulich entlarvende Allegorie unserer politisch und gesellschaftlich so apokalyptisch anmutenden Gegenwart. Die sprachliche Treffsicherheit ist beeindruckend und wirkt in Anbetracht der fast 20 Jahre auf dem Buckel dieses Liedes nahezu prophetisch.
Man möchte Mey besonders bei diesem Stück dafür umarmen, dass seine harsche Kritik voll ins Schwarze trifft, ohne sich bei angesagten Klappspaten aus der Verschwörer-, Reichsbürger- oder Wahnwichtelecke anzubiedern. Stattdessen serviert er niveauvoll endzeitlichen Sarkasmus zwischen B. Traven und "Apocalypse Now!". "Am Horizont wetterleuchten die Zeichen der Zeit./ Niedertracht und Raffsucht und Eitelkeit. /Klabautermann führt das Narrenschiff. Volle Fahrt voraus und Kurs auf‘s Riff!" Obwohl der Man auf der Bühne nur eine Akustische im Arm hält, klingt er hier so intensiv wie ein ganzes Orchester.
Mit "Dann Mach's Gut - Live" schüttelt Reinhard Mey somit nicht einfach nur Livescheibe Nr. 16 aus dem Ärmel, sondern seine mitreißendste Konzertaufnahme. Lang, sogar sehr lang muss man überlegen, um ein dermaßen hypnotisches und vielseitiges Bühnenwerk aus dem deutschen Sprachraum überhaupt zu erinnern.
5 Kommentare mit 13 Antworten
Mit niemandem haben mich meine Eltern so sehr gequält wie mit Mey. 24 Stunden Autofahrt nach Spanien und den ganzen Weg nur das Sprachgestolper dieses Schnappatmers. Irgendwann habe ich mich dann selbst über die kurzen Momente, in denen Mutter Roger Whittaker hören durfte, gefreut.
verstehe ich. das war bei uns ähnlich. ist ja immer ne echte herausforderung, nach solchen traumata die elterliche prägung zu überwinden und den künstler unbefangen zu entdecken. aber beim späten mey lohnt sich das wirklich.
Schon zig mal versucht. Das wird nichts mehr mit Mey und mir. Aber man braucht ja auch seine Feindbilder.
Weiß nicht. Meine Eltern haben mich auch mit vielem gequält. Und wie der Anwalt sagt, habe ich manches davon später noch mal neu entdeckt, z.B. Stefan Stoppok (wobei hier der "späte Stoppok" die schlechtere Wahl wäre) Aber Mey bleibt für mich ein rotes Tuch. Vielleicht, weil es einfach keine gute Musik ist
Stoppok? Deine Eltern sind eindeutig jünger als meine, Gute Nacht.
Das wird so sein Und trotzdem war Mey auch in dieser Generation noch omnipräsent. Ein Phänomen.
Bei Mey hatte ich als Kind bei meinen Eltern immer den Verdacht gehegt, jetzt lassen sie den Intelektuellen raus hängen gegenüber uns Kindern. Deshalb geht es mir da ähnlich wie SK, alles probiert um den richtig gut zu finden. Die alte Erinnerung läßt einen einfach nicht los.
feine texte - schön und gut. aber die instrumentellen darbietungen werden doch schon nach 'ner viertelstunde eintönig.
findste? ich steh ja auf so karges zeugt
"Gib mir Musik" ist immer noch eines der schönsten Lieder, die jemals in der deutschen Sprache verfasst wurden. Allein dafür schätze ich Herrn Mey sehr.
Vielen Dank, sehr schöne, kundige Rezi. Mey packt einen immer und immer wieder!
dank dir ja, das tut er. heute mehr als früher
Ja. Bei den Eiern. Das tut echt weh.
Wen findet ihr schlimmer, Reinhard Mey oder Hannes Wader?
wader ist - zumindest gegenwärtig - nur ein schatten seiner selbst
http://www.laut.de/Hannes-Wader/Alben/Sing…
Heinz Rudolf Kunze.
Wader hat immer schon eher im Schatten gelebt. Wader ist aber auch kein Vergleich mit Mey eher der Käsekopp Herman van Veen. Und den Ausdruck "schlimmer" kommt bei beiden nicht in Frage.
Deine Mudder