laut.de-Kritik
Star sucht Sound.
Review von Yannik GölzIrgendwo muss hier ein Glitch in der Matrix vorliegen: Laut meinem Spotify veröffentlicht Reneé Rapp erst seit plus minus zwei Jahren ernstlich Musik. Aber auf Online-Foren wie den Gaytimes, Them oder r/popheads könnte ich schwören, dass man mir ungefähr schon seit Beginn der Pandemie damit in den Ohren liegt, dass sie der nächste queere Superstar unserer Tage sein wird.
Die Musical-Schauspielerin gone Schauspielerin gone Pop-Sängerin stichelt jetzt schon seit einer Weile mit durchwachsenem Erfolg am Mainstream-Durchbruch herum. Und es macht auch Sinn, dass so viele Leute in ihr das goldene Kind vermuten: Sie ist eine klassisch ausgebildete, weit überdurchschnittliche Sängerin, wirkt supercool in Interviews und liefert dazu noch die Fantasia, was gewesen wäre, wenn die Nullerjahre-Pop-Girlies tatsächlich einmal amtlich out Teil der Community gewesen wären. Es ist überhaupt nicht schwer, Reneé Rapp supercool zu finden. Aber diese Vorschusscoolness sind ihr auf ihrem zweiten Album "Bite Me" Segen und Fluch zugleich. Denn auch auf diesem Projekt scheint es ein wenig, als hätte man zuerst die Marke, auf die jetzt rückwirkend festgestellt werden soll, welcher Pop-Sound denn dazu passen könnte.
Entsprechend ist "Bite Me" musikalisch ein Potpourri, das selbst noch nicht so recht den Finger drauflegen kann, was es denn nun sein möchte. Viele andere große Figuren des queeren Pops haben da den (scheinbaren) Vorteil, dass sie mit dem Hyperpop direkt in der großen queeren Musikbewegung ihrer Zeit verwurzelt sind. Rapp ist absolut definitiv kein Hyperpop - und das Wort scheinbar steht in Klammern, weil sie weiß und wir wissen, dass man mit so richtigem 100 Gecs-Sophie-Sound niemals in den Mainstream durchdringen wird. Rapp will diesen Mainstream. Und dementsprechend tanzt dieses ganze Album auf der Nadel, wie man gleichzeitig die Hipster-Coolness wahren, aber trotzdem Musik machen kann, die man dem Formatradio vorsetzen könnte.
Ihr bester Tipp scheint zu lauten: Mit Nostalgie. Ein paar Songs auf diesem Tape zapfen gekonnt musikalische Ideen um 2010 an. "At Least I'm Hot" fühlt sich wie ein Tribut an Estelles "American Boy" an, das ist objektiv einer der besten Tracks der Nullerjahre, "That's So Funny" könnte ein Bond-Song sein, auf dem jeden Moment Alicia Keys zu belten beginnt. Schon der Intro "Leave Me Alone" klingt, als hätte jemand sich den Drumloop und die Bridge von Taylor Swifts "Shake It Off" geschnappt, und all den Cringe durch Cuntiness ersetzt.
Und Reneé ist schon gut cunty, das muss man ihr lassen. Es tut dem Album im Vergleich zum Vorgänger "Snow Angel" so gut, dass sie den absoluten Balladen-Modus verlassen hat. Und doch ist es schwer, zwischen all den Momenten der liebevollen Pop-Nerderei ihre wirklich eigene Handschrift zu identifizieren. Auf dem Intro zu "Sometimes" verbaut sie auf einem ernsten Track die eröffnenden Lyrics von Justin Biebers "Baby". Das ist alles lustig, das ist alles cool, das ist dieses klassische Spielen mit Geschmack und Neubewertung, das Pop-Nerds lieben. Aber wer ist am Ende des Tages Reneé Rapp?
Das Problem für mich ist, dass sie zwischen den poppigeren und energetischeren Nummern immer noch in diesen Balladen-Modus geht, der kaum interessanter geworden ist. "Sometimes", "Shy" oder "I Think I Like You Better When You're Gone" sind beige Situationships-Songs, die man trotz kompetenter Schreibe so schon tausend Mal gehört hat und die man aller Queerness zum Trotz musikalisch locker auch einem Shawn Mendes oder einer Camila Cabello (bevor sie cool wurde) in die Hände hätte geben können. "Why Is She Still Here?" wertet die Formel mit stilvoll-dramatischem TripHop und "I Can't Have You Around Me Anymore" mit unterschwelligem Mk.gee-esken Gitarren auf.
Aber coole Produktions-Ideen machen keine Identität, vor allem, wenn die musikalischen Stoßrichtungen im Laufe von "Bite Me" so kreuz und quer durcheinandergehen. Auf eine komische Art fühlt das Album sich eher wie ein Mixtape an, das wahllos Dinge in den Raum wirft, die ganz cool scheinen. Aber es ist kein Body of Work, der einen eigenen Sound oder gar ein eigenes Worldbuilding etabliert. Ich wüsste nicht, wofür ich Reneé Rapp musikalisch konsultieren würde, wenn ich nicht ohnehin schon in sie als Celebrity investiert wäre. Das macht "Bite Me" als im Schnitt souveräne bis stellenweise starke Sammlung von Tracks keinen Deut schlechter. Aber wer so dezidiert auf dem Mainstream zusteuert, braucht vermutlich musikalisch eine starke und distinktive Identität, die diesem Projekt noch abgeht.
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