laut.de-Kritik
Ein neues Leben mit neuem Label.
Review von Giuliano BenassiErstaunlich, wie jugendlich sie noch klingt. Seit ihrem Debüt 1978 sind einige Jahre vergangen, die natürlich ihre Spuren hinterlassen haben. Oder gar Narben? Doch der jugendliche Geist, den Rickie Lee Jones damals ausstrahlte, ist ihr erhalten geblieben.
Mit 60 würde sie sich als normal arbeitender Mensch dem Rentenalter nähern, doch davon ist sie noch weit entfernt. Im Gegenteil: erweckte das von Ben Harper produzierte Cover-Album "The Devil You Know" (2012) noch den Eindruck, als wolle sie sich verabschieden, stellt sie nun wieder eine Platte mit eigenen Stücken vor.
Der Titel des Albums spielt auf Tennessee Williams' Drama "Endstation Sehnsucht" an (im Englischen "A Streetcar Named Desire"), das in New Orleans angesiedelt ist. Dort lebt mittlerweile auch Jones, nachdem sie der Westküste ohne große Trauer den Rücken gekehrt hat. "Ich bin hierher gekommen, um auf eine neue Weise zu leben und zu schreiben. Hier im Süden spielen Traditionen eine große Rolle, im Gegensatz zum Westen. Ich kenne die Schattenseiten des Lebens hier nicht, ich kann das Gute sehen. Genau das will ich tun: Das Gute sehen und es weitergeben", schreibt sie in ihrem Blog.
Material für eine neues Album hatte sie genügend, aber kein Label. Also startete sie ein Projekt auf der Seite Pledgemusic und bat ihre Fans um Unterstützung. Im Gegenzug bot sie Musikinstrumente, Kleidungsstücke, Bilder, sogar private Auftritte. Sie hatte Erfolg. Das Label gründete sie kurzerhand selbst und benannte es nach dem Album: The Other Side Of Desire Music.
Die Aufnahmen fanden mit lokalen Musikern in New Orleans unter der Führung von Produzent John Porter statt. Das Budget war natürlich nur ein Bruchteil von dem, was Jones zu Beginn ihrer Karriere zur Verfügung stand, doch ist sie mit dem Ergebnis durchaus zufrieden, erklärt sie.
Zu recht. Zwar bezeichnet sie sich als Popsängerin, doch hat sie schon immer Besseres als nur Liedchen geträllert. Wie gewohnt variieren auch hier die Stilrichtungen. Eine Spur zu seicht fallen allenfalls der Opener "Jimmy Choos" und gegen Ende "Feet On The Ground" aus. Ansonsten erinnert sie in "Valtz de Mon Pere (Lover's Waltz)" an Lucinda Williams, bietet in "J'ai Connais Pas" schunkelnden Rhythm And Blues und in "Blinded By The Hunt" Soul aus vergangenen Tagen.
"I Wasn't Here" mutet mit Streicherbegleitung an wie ein romantisches Wiegenlied. "Christmas In New Orleans" bietet alles, was man von einem Weihnachts-Popsong erwartet (natürlich eher von der Sorte von "Fairytale Of New York" der Pogues als einNervtöter wie "Last Christmas" von Wham): Wehmut, ein wärmendes Feuer, ewige Freundschaft und einen Drink.
"So when you're lost out here / On the Other Side of Desire / Come on in and warm your hands / On our eternal fire / We're all drinking and singing songs / Full of Christmas cheer / And every ghost there at the bar / Wishes that you were here" lauten die abschließenden Zeilen, mit schmachtender Stimme, Klavier- und Streicherbegleitung.
Musikalisch am anspruchvollsten fällt jedoch das abschließende "Finale (A Spider In The Circus Of The Falling Star)" aus, in dem Instrumente und Stimmen ineinander verwoben sind wie die Fäden eines Spinnennetzes.
Zwischenmenschliche Beziehungen sind auch diesmal Jones' Lieblingsthema. Oft findet sie sich (oder ihre Charaktere) an der Bar wieder, oft sind sie gebrochene Existenzen, die ihren Lebenswillen noch nicht verloren haben. Die andere Seite der Sehnsucht ist eben, dass nicht immer alles gelingt. So warnt Jones in "Haunted" von den Gefahren, die lauern, wenn man sich Hals über Kopf verliebt. "You better be careful / Hold on to something / Hold on to your heartache". Lieber ein gebrochenes Herz als eine große Enttäuschung.
"Ich wünsche mir, dass ich meine Zuhörer glücklich mache, ihnen eine Freude bereite und dass ich ein Haufen Kohle verdiene", schreibt Jones, vermutlich mit einem Schmunzeln, über die Absichten, die sie mit dieser Platte verfolgt. Auf jeden Fall meldet sich die gebürtige Chicagoerin eindrucksvoll zurück und liefert ihr bestes Album seit langem ab. Jetzt braucht sie nur noch alte und neue Fans, um auf diesen Weg weiter zu schreiten. "Whoever you are, I have always depended upon the kindness of strangers" sagt die tragische Heldin zum Schluss in Williams' Stück. Ein Satz, der auch zu diesem Album passt.
1 Kommentar
klingt hochinteressant. das letzte teil - balm of gilead - fand ich ja nur so semigelungen