laut.de-Kritik

Der Henker mit der stumpfen Klinge.

Review von

"Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist", sprach der Messias anno dazumal. "Ich ficke Deutschraps Anus von A bis Z", spricht Ssio, der "Messios" aus Bonn, 2019. Wie sein göttlicher Namensvetter macht es sich auch der immer geile Novoline-Connaisseur zur Aufgabe, seine in Ungnade gefallenen Zeitgenossen von ihrem Leid zu erlösen. Mit christlicher Nächstenliebe hat das jedoch eher weniger zu tun. Vielmehr schlüpft er in die Rolle des verschrobenen Henkers, der schelmisch grinsend einen Mode-Rapper nach dem anderen zum Schafott führt und mit einem Schenkelklopfer die Guillotine sausen lässt.

Doof nur, wenn die das eine oder andere Mal nicht so reibungslos funktioniert, wie sie sollte. War die Klinge zu stumpf? Mangelt es an Technik? Mag sein, vielleicht ist der gute Ssiawosch aber auch einfach mittlerweile zu alt für den Scheiß. Naja, wenigstens gabs kurzzeitig was zu lachen.

Pünktlich wie die Maurer kehrt Ssio nach jahrelangem Kush-Koma zurück, um in der Szene mal wieder so richtig aufzuräumen. Das Motto lautet nach wie vor: "Das ist Bonn, nicht Paris." In der Tat hält der wiederauferstandene Laufhaus-Stammkunde immer noch die Fackel für knallharten Straßenrap mit Augenzwinkern hoch. Dieses Monopol macht ihm so schnell niemand streitig. Seiner Rolle als Realkeeper, der "echten Rap" wieder salonfähig macht, wird er hingegen eher weniger gerecht.

Dafür klingen die selbstredend ironischen Versuche, der jüngeren Generation eins mitzugeben, stellenweise fast schon ungewohnt verbittert. "Hooligan statt Gucci Gang", is' klar, aber mit "Ibis Hotel" die R'n'B-Schiene fahren und auf "Zizziz" über Richard Millies rappen. Es mag stimmen, dass Ssio schon immer musikalische Aussetzer wie diese hatte, jedoch fielen sie auf Alben wie "BB.U.M.SS.N." weitaus weniger ins Gewicht als hier. Was unter anderem, auch wenn es der Bonner Rapper selbst in Interviews abstreitet, dem übergeordneten Narrativ geschuldet ist.

Doch auch abseits dieses Narrativs steht "Messios" zwischen den Stühlen. "Das ist Mittelalter-Rap und kein Trap": Stimmt nicht ganz, denn rein klanglich bewegt sich Ssios drittes Album irgendwo zwischen astreinem dreckigem Grime aus Tannenbusch und charttauglichem, uninspiriertem Pop-Rap. Die Beats wirken oftmals noch elektronischer und fieser als die der im Boom-Bap angesiedelten Vorgänger, fallen aber leider auch genau so oft absolut austauschbar aus. So hängt vieles an den Texten des Bonners.

Mit "Hash Hash", "Testo E" und "HULI" öffnet das Album stark. Auch wenn er sich lyrisch relativ schnell festfährt, liefert Ssio genug Kreativität am Mic, um selbst den belanglosesten Trash-Talk unterhaltsam zu gestalten ("Bin ein Fall fürs Polizeibüro, du dagegen für die Olli Geißen-Show.") Das ändert sich jedoch mit "Jabi", einem Song, über den ich beim ersten Hören herzlich lachen konnte, der aber spätestens beim dritten Durchlauf furchtbar nervig wird. Ssios Art, jedes Wort durch mindestens ein "bi" zu bereichern, erinnert an die rückblickend Fremdscham auslösende "Bims"-Sprache und tönt auf Dauer mindestens genauso nervtötend.

Die peinliche Hook von "Warum Lügst Du?" fährt kurz darauf einige zitierwürdige One-Liner gegen die Wand und macht aus guten Verses maximales Mittelmaß. Ähnliches gilt für das bereits erwähnte "Ibis Hotel". Einen weiteren Grund, sich genervt an die Stirn zu fassen, liefert der Refrain von "An Alle Lutschpastillen". Für intellektuell stimulierenden Humor war der Bonner zwar noch nie bekannt, aber "Kein Fiji-Wasser, Fiji-Wasser, Fiji-Wasser, nur Leitungswasser, Leitungswasser, Leitungswasser" markiert einen neuen Tiefpunkt. Wer darüber mehr als einmal lacht, findet bestimmt auch die "Movie"-Reihe von Friedberg und Seltzer zum Schießen.

Der von ihm oft aufs Korn genommene "Shishabar Hit" knüpft anschließend wieder an die Qualitäten des öffnenden Drillings an. Über ein schrilles "Halloween"-eskes Instrumental vergleicht der Tannenbuscher Hoodwatcher seine Brüder mit 1860-Kicker Jens Jeremies und gibt sich so out there, dass wohl jedes Rauchpfeifen-Etablissement binnen Minuten leer sein dürfte. Ähnliches gilt für "Zizziz". Doch selbst die wie ein aufgestachelter Bienenschwarm klingenden Synths kaschieren nur unvollkommen, dass dem freiberuflichen Kanalreiniger die die Puste auszugehen scheint.

Das sich Ssio inhaltlich auch mit seinem dritten Album im Kreis drehen wird, war abzusehen. Dass "Messios" gerade in der zweiten Hälfte so unlustig gerät, eher nicht. Ich meine, klar, der Humor ist nach wie vor da, flacht aber nach dem anfänglichen Feuerwerk relativ schnell wieder ab und gipfelt zuweilen in geschmackslosen Vergewaltigungs-Witzen wie "Erwisch deine Frau auf Ecstasy-Liquid, umzingelt von mir und meiner Refugee-Clique", die vielen Songs einen unangenehmen Beigeschmack geben.

Mit "Von Mio Zu Ssio" liefert der Bonner Realkeeper, dann kurz vor Schluss tatsächlich doch noch waschechte Kopfnicker-Mucke, die so auch auf "0,9" hätte landen können: "Mein Name ist SSIBIO, Nachname ist Doggy Dogg". Für knappe drei Minuten mag man dieses Statement unterschreiben.

"Messios" hat von der breiten Masse ein Konzept aufgezwungen bekommen, das vielleicht gar nicht so präsent geplant war. Abzustreiten ist es dennoch nicht, dafür bedient es Ssio nämlich zu selbstverständlich. Somit ist sein drittes Studio-Album ein über weite Stecken gelungenes Straßenrap-Album geworden, das hin und wieder deutlich über die Stränge schlägt und seiner massiven Erwartungshaltung nur in Ansätzen gerecht wird.

Trackliste

  1. 1. Hash Hash
  2. 2. Testo E
  3. 3. HULI
  4. 4. Jabi
  5. 5. Warum Lügst Du?
  6. 6. Hochzeitskorso
  7. 7. Shishabar Hit
  8. 8. Ibis Hotel
  9. 9. Zizziz
  10. 10. An Alle Lutschpastillen
  11. 11. 1 Min
  12. 12. Von Mio Zu Ssio
  13. 13. Übertreib Nicht Deine Roli

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