laut.de-Kritik

Riffige Krachorgien mit melodieseligen Beatles-Momenten.

Review von

1991 war ein verdammt gutes Jahr für Rockmusik. "Nevermind", "Ten", "Loveless", "Achtung Baby", "Temple Of The Dog", "Blood Sugar Sex Magik", "Badmotorfinger", "Use Your Illusion" und Metallicas "Black Album" ... da war einiges los. Abseits des harten Sektors ging es nicht minder rund.

Das Jahr 1991 war noch fast jungfräulich, als eine Necomerband namens Saigon Kick ihr Debüt an den Start brachte. Die Formation muckerte Mitte bis Ende der Achtziger in Miami vor sich hin, ehe sie ihren Otto unter einen Deal bei Third Stone setzten, einem Ableger des Branchenriesen Warner. Die Frage, wo man die Herrschaften stilistisch einordnen mag, ist schon der Casus Knacksus der Bandhistorie.

Als sie mit dem selbstbetitelten Album rüberkamen, war der Metal, wie man ihn aus den glorreichen Achtzigern kannte, ein Auslaufmodell. Grunge übernahm das Zepter und schubste die Mattenschwinger von der großen Showbühne. Spielen Saigon Kick Metal? Im weiteren Sinne schon. Das liegt unter anderem an Gitarrist Jason Bieler, der mit seiner Klampfe ein Monsterriff nach dem anderen aus dem Ärmel schüttelt. Das klingt auch heute noch wie eine derbe Wall Of Sound.

Für die zeichnet Produzent Michael Wagener verantwortlich. Jener hat damals an den Knöpfchen, die die Welt bedeuten, das Who Is Who der Hartwurst-Szene begleitet. Der gebürtige Wuppertaler zimmerte stets das richtige Brett zusammen. So auch hier. Sägende Sechssaiter, drängendes Schlagzeug, wummernder Bass: Check!

Aber, und hier kommt das ins Spiel, was der Band auf lange Sicht das Genick brechen sollte: Die stilistische Vielfalt von Saigon Kick war einfach zu groß. Weder der gemeine Metal-Fan noch die Indie-Gemeinde wussten so recht, was sie von diesen Typen halten sollte. Der Unterton im Sound ist dank Bielers Gitarrenarbeit immer recht aggressiv. Diese Schlagseite unterlaufen sie jedoch immer wieder mit melodieseligen Parts, die nicht wirklich ins Bild zu passen scheinen, sich aber doch zu einem schönen Ganzen zusammenfügen.

Der Opener "New World" macht da keine Ausnahme. Mystische, verspielte, an eine Sitar erinnernde Klänge leiten das Stück ein. Drummer Phil Varone führt den Faden mit mächtigem Tribal-Drumming fort, begleitet von Matt Kramers schamanischem Singsang. Das plätschert fast 90 Sekunden vor sich hin, ehe Bieler die Riff-Keule auspackt.

Aber ... was ist das? Kramer flankiert diese Melange mit glockenklarem Gesang und erschafft so eine Stimmung, die zwischen Aggressivität und Mystik hin und her schwankt. Unterbrochen von knurrigen Parts wird hier der "new love clan" proklamiert. Jason Bieler, ein gnadenlos guter Rhythmus-Gitarrist, ist obendrein ein exzellenter Solist. Dass er (nicht nur) beim Opener aber auf unnötige Gniedelei verzichtet, tut dem Track äußerst gut.

In "What Do You Do" geht es deutlich ruppiger zu. Kramer kleidet seinen im Text formulierten Freiheitsdrang in einen kläffenden Vortrag. "Suzy" spiegelt exemplarisch die Dualität im Sound von "Saigon Kick" wider: Eine zuckersüße Melodie mit reichlich Hall in der Stimme singt von "Suzy had a dream. Of what she could not tell. She only guarantees, it'll take you straight to Hell". Hernach übernehmen wieder sägende Riffs das Kommando, und Bieler darf ein wunderbares Solo beisteuern.

Zwischen Hartem und Melodischem streuen sie ab und an noch Hymnisches wie "Colors" ein, Klavier-Einsprengsel und Akustik-Gitarren inklusive. Den Gipfel der Eingängigkeit erreichen sie mit dem wunderschönen "Love Of God", das sogar Kanarienvögel zum Mitsingen animiert. (In realiter getestet!) Das hat schon etwas Beatle-eskes.

Endgültig zwischen alle Stühle setzen sie sich mit einem Ragtime (!!). Den spickt ein Refrain, der das stilistisch natürlich wieder in eine völlig andere Richtung lenkt. Der Himmel tut sich auf, und der Bombast sturzbacht auf den Hörer ein. Mit "Come Take Me Now" schleicht dann noch die Standard-Ballade um die Ecke, ehe "I.C.U." den Reigen mit einer weiteren schönen Krach-Einlage beschließt.

Mit "Saigon Kick" und dem ebenfalls sehr hochkarätigen Nachfolger "The Lizard" der die Genres ähnlich breit abklappert wie das Debüt, waren die Floridianer einfach zu weird für den Massengeschmack. Der Erstling floppte an den Kassen. Dass sie mit dem zweiten Werk die halbe Million verkaufte Einheiten vollmachen konnten, lag einzig und allein an der Schmuse-Nummer "Love Is On The Way". Wer sich in Erwartung weiterer Kuschel-Tracks das Album zulegte, dem dürften heute noch die Ohren wackeln.

Nach diesem kurzen kommerziellen Aufleuchten, ging es bis zum Bandsplit rapide bergab. Die Combo genoss trotz einer später erfolgten Reunion nie auch nur annähernd die Aufmerksamkeit, die sie eigentlich verdient gehabt hätte. Der englischsprachige Wikipedia-Eintrag listet die Band übrigens nach wie vor unter Glam-Metal. Was für ein Witz.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. New World
  2. 2. What You Say
  3. 3. What Do You Do
  4. 4. Suzy
  5. 5. Colors
  6. 6. Coming Home
  7. 7. Love Of God
  8. 8. Down By The Ocean
  9. 9. Acid Rain
  10. 10. My Life
  11. 11. Month Of Sundays
  12. 12. Ugly
  13. 13. Come Take Me Now
  14. 14. I.C.U.

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