laut.de-Kritik
Esoterik auf Albumlänge für den geneigten Yogi.
Review von Connor Endt"Das Leben wartet auf dich", "du kannst die Sonne trinken." Das klingt entweder nach einem Sekten-Guru auf dem Höhepunkt seines Acid-Trips oder nach einer Esoterik-DVD, die man im Grabbelfach eines Second-Hand-Ladens gefunden hat. Tatsächlich handelt es sich hierbei um zwei Textzeilen aus Schillers neuem Werk. Man kann es nicht anders ausdrücken: "Morgenstund" ist Esoterik auf Albumlänge.
Das ist schmerzhaft wortwörtlich gemeint: In "Willkommen" indoktriniert eine dramatisch hallende Frauenstimme den geneigten Yogi: "Guten Abend. Herzlich willkommen in der neuen Welt von Schiller. Schließen Sie die Augen, entspannen Sie sich." Das Ganze paart sich mit weiten Ambient-Sounds und Vogelgezwitscher. Kein Witz. Schon das Intro lässt einen sprach- und verständnislos zurück. Was zur Hölle ist das?!
"Harmonia" kombiniert eine sich endlos loopende Synthesizer-Hook mit den Klängen einer Ney, einer kleinen Flöte aus der afrikanischen Musik. Dazu gesellen sich plötzlich scheppernde Drum Beats (pappige Achtziger-Snare inklusive), hier und da noch eine E-Gitarre: Easy Listening vom Feinsten, das darf gerne auch bei der nächsten Massage-Session laufen.
Auch die anderen Songs auf "Morgenstund" changieren irgendwo zwischen Easy Listening, Electro und Yoga-CD. Fast jeden Song kleistern Field Recordings zu (wahlweise Vogelgezwitscher, Regenwald-Kulisse oder Wellenrauschen), die Synthesizer brummen irgendwo unmotiviert im Hintergrund herum. Manchmal spendiert Schiller dazu noch die Klänge einer Hang ("Baum Des Lebens", "Morgenstund"), melancholische Piano-Akkorde oder Streicher ("Shangri La").
Die Beats reichen vom passablen Deep House ("Dreamcatcher") zu absoluten Schrottbeats mit schwachbrüstiger Viertel-Kick und den immer gleichen notorischen Claps. Wenn es Vocals gibt, übergießt Schiller diese so hart mit Reverb, dass jede persönliche Note verloren geht.
Immerhin hat er für "Morgenstund" eine Menge Gäste mitgebracht: den Dance-Music-Godfather Giorgio Moroder ("Lichtjahre") etwa, oder Nena im Titelsong "Morgenstund". Dieser macht mit atmosphärisch hallenden Pads, dezenten Synthesizern und Percussion-Beat Hoffnung. Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal über einen Song mit der Beteiligung von Nena sagen würde.
Aber zu früh gefreut: Schon bald folgen wieder Schillers spirituelle Natur-Aufnahmen. Persönliches Highlight: "Du kannst sie mitnehmen, die Welle", und passend zum Wortlaut setzt prompt das Wellenrauschen ein. Schlimmer gehts kaum.
Oder doch? Ambient-Sounds irren ratlos im Hintergrund umher, und ein stumpfer Dance-Beat pumpt einfach immer weiter. Dazu singt Nena einen absoluten Schwachsinns-Text, der sich perfekt ins Friede-Freude-Eierkuchen-Schema der Platte einreiht: "Da ist ein Lichtstrahl in Sicht und ich will, dass du weißt / Es wird alles ganz leicht, wir sind ein ewiger Kreis."
Wer bis hierhin durchgehalten hat, bekommt die Stimme von Andreas Fröhlich aka Drei-Fragezeichen-Klugscheißer Bob Andrews in den Gehörgang geknallt: "Was vor uns liegt und was hinter uns liegt sind Kleinigkeiten zu dem, was in uns liegt. Und wenn wir das, was in uns liegt, nach außen in die Welt tragen, geschehen Wunder."
Ich komme zu der abschließenden Beobachtung: Nicht alles, das nach außen getragen wird, wird zwingend zum Wunder. Schon gar nicht diese Platte.
17 Kommentare mit 40 Antworten
"du kannst die Sonne trinken."
https://www.sol.com/de
Ok. Dann verstehe ich auch das mit dem Yoga besser.
https://mademyday.com/33175
Capri-Sonne halt...
Die Limited Super Deluxe Edition mit dem Tangerine Dream-Longtrack sieht trotzdem recht interessant aus.
Ihr habt einfach nichts über für seine Musik!
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Morgenstrahl pssst besser zum Coverbild....
... wenn man tags zuvor zuviel Sonne getrunken hat ...
Gruß
Skywise