laut.de-Kritik

You can't stop the hardcore. Nein, wirklich nicht.

Review von

"The Fifth Chapter": ein einigermaßen befremdlicher Albumtitel, schreiben Scooter doch gefühlt schon das mindestens 23. Kapitel ihrer Bandgeschichte. Stimmt nicht, erst das fünfte, belehrt die mitgelieferte Information. Mit Phil Speiser begrüßt die Formation nämlich den fünften Neuzugang in ihren Reihen. Na, dann: Hallo, Phil!

Anzunehmen, dass Herr Speiser das gelegentlich vielleicht bequeme, mitunter aber doch ein wenig unbefriedigende Schicksal seiner Vorgänger teilen wird, die ebenfalls unerkannt und weitgehend unbeachtet im Schatten standen. In der öffentlichen Wahrnehmung handelte es sich bei Scooter schon immer um H.P. Baxxters Ein-Mann-Show. Daran dürfte auch der neue Dritte im Bunde wenig rütteln.

Wie stark die Präsenz ihres Frontmannes das Scooter'sche Schaffen prägt, zeigt sich an den Tracks, in denen er wenig bis gar nicht in Erscheinung tritt. Die hinterlassen dann auch nahezu keine Spuren. "Jaguare" schnürt einen kerzengeraden Bummbummbeat entlang und fühlt sich wie der ellenlange Discomix von Donna Summers "Love To Love You Baby" an - auch in etwa so revolutionär. "In Need", der Rausschmeißer, in dem Klavier, Synthies und ein wenig Frauengesang das Umz-Umz-Umz-Umz flankieren, brauch' ich ungefähr genau so dringend. Also: nicht.

"T5C" dagegen besitzt den Charakter und die Dynamik eines überlangen Intros: Energie staut sich auf und strebt unaufhaltsam einer Eruption entgegen. Die erfolgt genau in dem Moment, in dem "Who's That Rave?" losschnarrt - zusammen mit H.P. Baxxter. "It's an overload. There's a danger 'cause I'm on the road." Das unterschreiben so vermutlich selbst erklärte Scooter-Verächter. "Here it comes, back on the place. Once I start you don't want me to stop." Okay, das vielleicht nicht.

"Is it real or just a dream? You're a lady and I'm a machine." Ja. Was soll ich sagen? Ibiza-Disco-Synthies aus der Schaumparty-Hölle. Rave-Effekte von vorgestern. Hämmernde Bässe. Drei Textzeilen pro Track, wieder und wieder und wieder aufgegossen. Dazwischen: "Yeah. Oh, yeah. Oh, yeah!" Wir wissen doch alle, wie das klingt. "Come on!"

Das Rezept für den Aufbau ihrer Tracks erklärten uns Scooter vor Jahren schon im Interview: "Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, C-Part, Schlussrefrain." Dazu, für den Aha-Effekt, sattsam bekannte Versatzstücke, meist bis in Mickeymaus-Tonlagen gepitchte Vocal-Samples und das, was "the rebel MC" mit der Flüstertüte mit jedem Recht der Welt "lyrical madness" nennt: "Mess up, mash up, you will see", das Gemisch knallt immer noch und immer wieder wie weiland "Hyper Hyper" - selbst, wenn Baxxter, wie in "Fuck Forever", beinahe ungewohnt rockige Töne anschlägt.

Ach, ihr könnt mich doch alle gernhaben. Ich mag Scooter - und ich glaube, ich weiß nach vielen Jahren inzwischen sogar endlich, warum. Noch nie haben die versucht, mehr zu sein, als sie sind. Oder etwas anderes. Niemals haben sie ihr Schaffen zur Neuerfindung des musikalischen Rades aufgeblasen, ihm nie den Stempel next level shit aufdrücken wollen. Die völlig seelenlosen, blitzsauberen, nein, sterilen Gesangsparts (wie die einer Vassy in "Today") verklären Scooter nicht zu den Ergüssen mindestens der nächsten Aretha Franklin. Danke, dafür!

Cheflyriker Baxxter hält sich eben an die augegebene Hauptdirektive. "Whatever you do: You have to be true." Das tut im Blender-Business des Pop-Musikzirkus' richtig, richtig gut. "Shout it out loud!" Ein Scooter-Tune ist ein Scooter-Tune. Eurodance-Teutonen-Techno. Abrissmucke für die Großraumdisco. Gemacht für alle, die Oldschool-Electroboogie mit dem Presslufthammer tanzen und dabei verdammtnochmal Spaß haben wollen. Deswegen bleibt auch alles so wundervoll unmissverständlich. "Jump!"

Den dynamischen Wechsel zwischen Haudrauf und Chillout, Party und Afterhour, beherrschen Scooter nach Dekadem im Geschäft längst aus dem Eff-Eff. Nötigenfalls passen die auch in einen Track, wie "999 (Call The Police)" demonstriert. Ab und an muss man das johlende, hüpfende Volk ja auch an die Bar schicken.

Vor allem, wenn man noch das As im Ärmel hat: Ein Lied über Spanien aus der Feder eines Belgiers wie ein griechisches klingen zu lassen, das eine Horde besoffener Russen angestimmt hat - das soll Baxxter und Komplizen erst einmal einer nachmachen. "Middlefingers in the air, drinking Wodka Belvedere, naked bitches over there", alles zur Melodei von "Eviva España". Holy fuckin' s-hit, es stimmt: You "Can't Stop The Hardcore".

Trackliste

  1. 1. T5C
  2. 2. Who's That Rave?
  3. 3. Today
  4. 4. We Got The Sound
  5. 5. Radiate
  6. 6. 999 (Call The Police)
  7. 7. King Of The Land
  8. 8. Bigroom Blitz
  9. 9. Chopstick (Mado Kara Mieru)
  10. 10. Home Again
  11. 11. Fuck Forever
  12. 12. Jaguare
  13. 13. T.O.O.
  14. 14. Listen
  15. 15. Can't Stop The Hardcore
  16. 16. Fallin'
  17. 17. In Need

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