laut.de-Kritik
Selbst dem traurigsten Grunge-Fan könnte ein Lächeln gelingen.
Review von Kai ButterweckWenn es um das Erbe des Grunge-Hypes der Neunziger geht, dann steht Seether bei vielen Fans und Branchenexpert:innen ganz oben auf der Liste. 25 Jahre nach der Gründung und 20 Jahre nach dem Durchbruchswerk "Disclaimer II" sind Seether immer noch am Start und halten die Post-Grunge-Fahne hoch. Und auf ihrem neunten Studioalbum "The Surface Seems So Far" machen die Südafrikaner genau da weiter, wo sie 2020 ("Si Vis Pacem, Para Bellum") aufgehört haben. Soll heißen: Wuchtige Gitarrenriffs und schleppende Alternative-Drums treffen auf leidende Vocals und düstere Melodien.
Wer mit dieser Mische schon vor zwanzig Jahren nichts anfangen konnte, der wird auch heute nicht begeistert in die Hände klatschen. All jene, die genau auf diese Mixtur aus Härte und Melancholie abfahren, denen bietet "The Surface Seems So Far" viel. Während der Opener "Judas Mind" mit Tiefgang, einer ausgewogenen Balance zwischen hart und zart sowie kurzen, verzweifelten Ausbrüchen genau serviert, was Fan bestellt hat, klingt "Illusion" im Anschluss nach einem Filler auf einem älteren Deftones-Album. "Beneath The Veil" besitzt trotz verzerrter Grundstimmung viel Pop-Appeal. Beim schmachtenden Refrain sollte selbst dem traurigsten Grunge-Girl ein kurzes Lächeln gelingen.
Auch wenn Seether ihren Sound nur selten variieren, präsentiert sich das große Ganze erstaunlich facettenreich. Seether nehmen verschiedene Einflüsse auf: ein bisschen Hardrock, ein bisschen Pop, jede Menge Alternative und natürlich ganz viel Grunge. Zusammen ergibt sich eine Melange, die sich nicht nur stimmig und homogen, sondern auch nachhaltig durch die Boxen zwängt.
"Semblance Of Me" will unbedingt in die Charts. "Try To Heal" kommt mit einem knackigen Einstiegsriff um die Ecke, verliert dann aber an Kraft und Energie. "Paint The World" groovt wie Hölle und erinnert an die Glanzzeiten von Silverchair und Alice In Chains. Und das balladeske "Same Mistakes" hat durchaus das Zeug zum zukünftigen Setlist-Highlight.
Mit dem vertrackten Schlusslicht "Regret" schließen Seether das Hier-und-Jetzt-Kapitel und klopfen sich im Anschluss völlig zurecht anerkennend auf die Schultern. Seether machen nicht den Fehler und versuchen irgendetwas Neues zu kreieren. Die Band bleibt ihren Wurzeln treu. So freuen sich nicht nur all die treuen Anhänger der ersten Stunde, sondern auch alle Quer- und Neueinsteiger, die auf wuchtige Grunge-Kost mit Alternative-Einschlag stehen.
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