laut.de-Kritik
Ein Dealer für die Ohren.
Review von Ulf KubankeDie musikalischen Verdienste der 30-jährigen Karriere Shantels aufzuzählen, hieße, Eulen nach Athen zu tragen. Als Underground-Macher im miesen Bahnhofsviertel gestartet und gelandet als eine Art Schutzpatron weltoffenen Denkens und multikultureller Fusion, die in der Kunst und auf dem Dancefloor so viel besser funktioniert als im Gegeneinander der Menschen. Grund genug für einen 34 Songs starken Streifzug durch den Katalog des Musiknomaden. "The Bucovina Club Years" ist dabei weit mehr als eine normale Best-Of.
Zum einen ist sie lediglich der erste Teil der so genannten "Shantology-Trilogie", die unter dem Banner "30 Years Of Club Guerilla" auf die Tanzfläche marschiert. Zum anderen ist hier mehr geboten als ödes Schaulaufen längst bekannter Klänge: Neben zahlreichen Kultnummern kredenzt Shantel seinen Fans auch unveröffentlichte Tracks und Neueinspielungen bzw. Remixe lieb gewonnener Klassiker.
Und die Songs funktionieren - damals wie heute. Aus ihrer Zeit heraus betrachtet haftet ihnen eine Aura von Abenteuer und Magie an. Shantels Clubs, Lissania und später die Bucovina waren Publikumsmagneten und Schmelztiegel zugleich. Szenen, Genres oder Alter spielten dabei keinerlei Rolle. Nur eines kettete sie aneinandeer:
Der Durst nach Ekstase zu Klängen jenseits der Norm, jenseits klinischer Elektrosterilität, jenseits formatierter Cash-Maschinen wie MTV, die man dort als falschen Garten Eden begriff.
Shantel war ihnen alles zugleich: Schamane, Guru, Zeremonienmeister, DJ, Komponist, Arrangeur und Produzent - mithin eine Art Dealer für die Ohren. Mit heutigen Augen betrachtet, ist das romantische Bild nicht weniger schillernd. Was damals dem Zeitgeist voraus war, bis er dessen Beute wurde, wirkt in diesen Tagen wie eine drigend notwendige Dosis humanistischer Medizin: eine Faust im Gebiss der Fremdenfeindlichkeit, der kunterbunte Tritt ins Gemächt des Rassismus'.
Die beeindruckende Vielfalt räumt dabei mit einem gängigen Irrtum auf: Gern wird Shantel als klingendes Pendant zu den Büchern Vladimir Kaminers wahrgenommen, das sich ausschließlich jüdisch-osteuropäischen Klängen widmet. In Wahrheit saugt er wie ein Schwamm Einflüsse diverser Kulturen und Kontinente auf. Da ist Brasilien ebenso an Deck wie Arabien, Griechenland und zahllose andere entlegene Winkel musikalischer Ausdruckskraft. Quasi von Mannheim bis zu den Malediven.
Einen besonderen Reiz macht so die namhafte Gästeliste aus. Egal ob eine Weltmusik-Eminenz wie Goran Bregovic oder die Gypsy-Anarchisten Fanfare Ciocarlia: Alle hauchen selbst den abgehangendsten Tracks neues Leben ein.
Zwei spezielle Anspieltipps: Die stets grandiose Amsterdam Klezmer Band mischt den "Buchhalter Joint" auf, als sei dieser nicht mit Gras sondern Koks gefüllt. Filigraner geht es im Soca-Mix der ewigen Shantel-Visitenkarte "Bucovina" zu. Neben mexikanischen Trompeten und piazzollaeskem Bandoneon sticht besonders die tolle Mariachi-Sologitarre hervor. Heraus kommt eine Variation, die sogar dem Original überlegen ist.
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