laut.de-Kritik
Wie ein 54er Bel Air mit eingebautem Hummer-Motor.
Review von Kai Butterweck"Wir sind selbst schuld, dass wir fast zwanzig Jahre gebraucht haben, um uns auch außerhalb Amerikas einen Namen zu machen", gesteht Mike Ness. Der Lowriders-Liebhaber und einzig wahre Punkrock-Marlon Brando hatte zusammen mit seinem stetig wechselnden Social Distortion-Gefolge vom Gründungsjahr 1979 bis Mitte der neunziger Jahre eigentlich nur Augen für sein Heimatland. Während sich Bands wie Bad Religion oder Circle Jerks schon in den Achtzigern nach Europa aufmachten, klammerten sich die Pomade tragenden Orange County-Aushängeschilder lieber am eigenen Festland fest.
Doch glücklicherweise trugen im Zeitalter des Grunge-Niedergangs schwer angesagte Drei-Akkorde-Combos wie Green Day, The Offspring oder Rancid die Kunde über eine ihrer größten Inspirationsquellen in die weite Welt. Die Folge: Auf einmal mehrten sich SD-Skeletton-Oberarm-Tattoos auf europäischen Festival-Campingplätzen, während aus den Zelten Songs wie "Bad Luck", "Sick Boys" oder "King Of Fools" dröhnten. Der alte Kontinent und auch der Rest der Welt erwachte Mitte der Neunziger - ebenso wie die Band selbst: "Ich wusste, dass die Zeit reif war. Und ich wusste auch, dass wir für Europa ein Album im Gepäck haben mussten, das alles Bisherige in den Schatten stellt", erinnert sich der SD-Frontmann rückblickend.
Der selbst auferlegte Druck schien das Kollektiv aber eher zu pushen als zu lähmen, denn mit dem im September 1996 veröffentlichten Ergebnis namens "White Light, White Heat, White Trash", stampften sich die Kalifornier einen Punkrock-Edelstein ins Tour-Gepäck, der überdimensionale Türen und Tore öffnen sollte. Erstmals in ihrer langen Karriere drehten die Mannen um Mike Ness die Fender-Amps auf Anschlag und verließen den 1979 eingeschlagenen Pfad des Country-orientierten Rockabilly-Garage-Rock'n'Roll in Richtung Punkrock-Autobahn.
The Offspring-Frontmann Dexter Holland fasste die Bedeutung dieser Entwicklung präzise zusammen: "Ich war einfach nur platt, als ich das Album hörte. Die ganze Revival-Szene wurde damit praktisch über Nacht mundtot gemacht. Ich kenne viele Leute, die aufgrund dieses Albums eine Band gründeten. Ich kenne aber auch viele Bands, die sich aufgrund dieser Platte auflösten. Kann man eine Platte noch mehr adeln?"
Wahrscheinlich nicht. Die Kinnladen aller plötzlich wie Pilze aus dem Boden schießenden Punkrock-Greenhorns klappten völlig zu Recht nach unten, denn das abermals brillante Songwriting von SD-Oberhaupt Mike Ness, eingebettet in neuzeitliche Breitwand-Sounds, katapultierte die Band in konkurrenzlose Gefilde.
Wie ein 54er Bel Air mit eingebautem Hummer-Motor braust das Album eine Dreiviertelstunde lang durch die innersten Konfliktbahnen eines Mannes, der weiß, wovon er singt. Von blutenden Herzen ("Dear Lover", "Crown Of Thorns"), über berührende Eingeständnisse ("I Was Wrong"), bis hin zu dick geschwollenen Mittelfingern ("Don't Drag Me Down", "Through These Eyes"): Mike Ness kehrt auf diesem Album sein Innerstes nach außen. Wie Gott ihn schuf, posiert er im Schutz des flächendeckenden Backgrounds. Breitbeinig und mit pumpender Halsschlagader steht der Sänger im gleißenden Scheinwerferlicht und singt sich die Seele aus dem Leib. Dabei sprudeln alles überdauernde Harmonien nur so aus ihm heraus.
Keiner der insgesamt zwölf Songs bedarf eines zweiten Durchlaufs, um über Wochen im Ohr hängen zu bleiben. Mit nachhaltigen Hooks im Überfluss bildet das Dutzend Punkrock-Perlen eine in sich geschlossene Kette, die sich auch fast zwanzig Jahre später noch auf Hochglanz poliert präsentiert.
Egal ob im versifften 500er-Hinterhof-Club ("Don't Drag Me Down", "Through These Eyes"), in der randvoll gefüllten High End-Arena ("I Was Wrong", "When The Angels Sing") oder im Garten von Mick Jagger ("Under My Thumb"): Social Distortion sorgen im Spätsommer 1996 in jeder Location für wundgeklatschte Handinnenflächen und kollektive Kniefälle. "Ich glaube, dass wir damals mit diesem Album das richtige Paket für den Rest der Welt im Gepäck hatten", so Ness. Das kann man ohne Wenn und Aber so stehen lassen.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
24 Kommentare mit einer Antwort
Ein richtiges brachiales Gerät und zurecht ein Meilenstein.
Klare Sache.
Dem ganzen gibt es nichts mehr hinzuzufügen, Mike Ness ist sowieso Kult.
@jenzo1981 (« @Morpho:
I could write a song, and using real words, not "odelay." »):
*das Becktionary aufschlag*
@Wombaz (« Die beiden ersten Distillers Platten würde ich vorziehen - beide auch nicht rezensiert. »):
Du bewegst dich da auf sehr dünnem Eis bist du dir gewahr, dass -es momente gibt in denen- mike neSS der legitime nachfolger des großmächtigen Johnny Cash ist ich werde mir vllt die distiller platten anhören, wenn ich dazu komme. und wehe die sind nicht gut
Für mich voll verdient.Finde halt gerade die Melodien weltklasse.Und was spricht gegen´nur`3 Akkorde??Das fegt und drückt und macht mir gute Laune.Mit diesem Album und 2 Kisten Bier haben ein Freund und ich ne 4 Zimmer Wohnung in 1 1/2 Tagen gestrichen.Ein totales Brett aus einem Guss.