laut.de-Kritik

Spiritualisiert war schon immer alles schöner.

Review von

Mir hat sich nie recht erschlossen, in welchem Setting man Spiritualized eigentlich anhören soll. Viel zu ausladend und in den Details zu filigran fürs Kaminfeuer oder als Buchbegleitung, zu anstrengend für die Couch, zu wenig rhythmisch fürs Autofahren. Menschen mit ADHS machen, das setze ich als bewiesen voraus, durchschnittlich die bessere Musik, aber J Spaceman alias Jason Pierces Variante steht zwar für eine konstant hohe musische Qualität, die man sich jedoch seit einigen Alben mit viel Anstrengung erschließen oder mit hoher Resilienz über sich ergehen lassen muss, um zu dem Kern vorzudringen, der diese Musik eigentlich so schön macht.

"Everything Was Beautiful" knüpft da nahtlos an: Es wurde in elf verschiedenen Studios aufgenommen, wobei Pierce selber insgesamt 16 verschiedene Instrumente einspielte und sich zudem Unterstützung von diversen Streicher- und Bläsergruppen, Chören, befreundeten Acts wie John Coxon oder auch seiner Tochter Poppy einholte - sodass schlussendlich mehr als 30 Personen am finalen Album beteiligt waren. Der letzte Satz ist fast unverändert vom Pressetext kopiert und ich frage mich, was er mir sagen soll. Ist das gut? Ist das ein Warnhinweis? Pierce setzt schon lange auf eine benevolente Musikdiktatur, in der viele irgendwas machen dürfen, am Ende aber doch nur er zu hören ist. Der nun vorliegende fehlende Zwilling zu "And Nothing Hurt" sollte nicht nur wegen dem Vonnegut-Zitat eigentlich ein Doppelalbum werden. Wo der Vorgänger aber zu verzagt war, ist "Everything Was Beautiful" zu überschäumend, und das leider auf eine brave Art und Weise.

Dabei nähert sich der Opener "Always Together With You" dem Kern eines gelungenen Spiritualized-Songs noch recht souverän an. Zwar verunsichert das Selbstzitat im Eröffnungssatz - kann sich dieser Mann denn nie von "Ladies And Gentlemen We Are Floating" befreien - aber das folgende Psych-Pop-Prog-Rock-Stück stapelt Schicht um Schicht wie ein Kalter Hund, um schlussendlich doch stringent und wohlschmeckend zu klingen.

Die rockende Drogenode "Best Thing You Never Had (The D Song)" gerät dann aber schon zu repetitiv, und "Let It Bleed (For Iggy)" entfaltet seine richtig schönen Momente erst spät zum Schluss hin. "Crazy" mit Nikki Lane ist ein gelungenes Country-Pop-Duett, aber was hat das hier eigentlich zu suchen?

Spiritualized klingen auf "Everything Was Beautiful" mehr denn je wie eine Hochzeitsband, die alles spielen können muss, weil irgendein Besoffener sonst mit Bierflaschen wirft. Das ständige Experimentieren, das Pierce so wichtig zu sein scheint, erstarrt hier allerdings in Konservatismus. Einen kreuzbiederen Country-Popper machen zu können, ist handwerklich zwar aller Ehren wert, für den Hörer aber nur wenig gewinnbringend. Soundforschung ist das nicht, eher handwerkliche Liebelei. Kommen dann noch Ausfälle wie "Mainline", ein einziges zielloses Mäandern, hinzu, gerät selbst ein mit viel Elan aufgenommenes Werk aus der Spur. Und dieser Elan wäre eigentlich da, aber die klassischeren Rock-Shoe-Psycher "The A Song (Laid In Your Arms)" und (das leicht bluesige) "I'm Coming Home Again" kaschieren auch mit reiner Spiellust nicht, dass sie schlicht zu wenig greifbare Ideen bieten, die konsequent durchgezogen würden. Vielleicht langweilt Pierce sein etablierter Sound, wohin er stattdessen gehen will, scheint er aber nicht zu wissen.

"Everything Was Beautiful" ist nicht schlecht, das könnte Pierce vielleicht gar nicht: schlechte Musik zu schreiben. Daran hindern ihn sein Melodieverständnis und seine unverändert unnachahmliche Eigenschaft, markante Details im Bombast zu setzen. Schlecht ist hier gar nichts, aber vorhersehbar, vom ewigen Midtempo-Vorwärtsmomentum bis zu den coolen, drogenaffinen One-Linern, Basis für die auf Songlänge jedoch stets abstrakt bleibenden Texte. Pierce bezieht sich oft und authentisch auf den inneren Eskapismus des Gospel, aber der Irrsinn eines Kanye fehlt ihm für dessen Umsetzung ebenso wie die melodische Disziplin von Gareth Liddard. Warum nicht mal ein Gospel-Album, statt dem Gospel im Prog nachzulaufen?

Trackliste

  1. 1. Always Together With You
  2. 2. Best Thing You Never Had (The D Song)
  3. 3. Let It Bleed (For Iggy)
  4. 4. Crazy
  5. 5. The Mainline Song
  6. 6. The A Song (Laid In Your Arms)
  7. 7. I’m Coming Home Again

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