laut.de-Kritik

Serienkiller, Engel und unschuldige Kindheit.

Review von

Verpflichtungen zum Grillen, hinein in die warme Bude und eingekuschelt neue Filme entdecken oder noch einmal anschauen. Sufjan Stevens und sein Songwriter-Kollege Angelo De Augustine, beide passionierte Cineasten, nahmen dieses gemeinsame Bingen als Anlass für ein gemeinsames Album. Weg aus der Stadt, irgendwo im Norden von New York, planten sie eine Auszeit und entwarfen "A Beginner's Mind", das lose auf Filmhandlungen basiert. Es wäre natürlich viel einfacher gewesen, die bereits fertigen Charaktere zu übernehmen, als Rahmenhandlung für die Songs. Kenner des Sound-Visionärs Stevens wissen aber schon lange, dass der einfache Weg nie eine Option für den eigenwilligen Songwriter darstellte. Sehr zum Leidwesen derjenigen Fans, die ihn als Indie-Folker kennen lernten und seine Verwandlung zum experimentellen Künstler in den letzten Jahren eher mürrisch hinnehmen.

Sich auf die Suche nach neuen Perspektiven zu begeben, findet Stevens reizvoller. Der Serienkiller Buffalo Bill aus "Das Schweigen der Lämmer" nimmt in "Cimmerian Shade" nicht mehr die Rolle des ultimativ Bösen ein, sondern fleht den Drehbuch-Autor Jonathan Demme an, ihn nicht mehr als Sex-Freak dazustellen und seine Transphobie zu überwinden. Tatsächlich gab es Anfang der 90er noch pseudowissenschaftliche Studien wie Autogynophilia, die Transsexuelle in den Bereich der krankhaften Perversion rückten. Sufjan wandelt also schon wieder ein Trauma in eine fast schon erlösende Erfahrung um.

Fröhlich beschwingt singen die beiden auch das Wenders-Tribut "Reach Out". "Der Himmel über Berlin" hat schon mehrere Künstler inspiriert, man denke nur an das "Stay"-Video von U2 oder den Pathos von "Iris", den die Goo Goo Dolls für das US-Remake geschrieben haben. Beides traurige Musikstücke, mit denen die harfenähnliche Version von "A Beginner's Mind" nicht viel gemeinsam hat. Glocken liegen über dem hauchzart gezupften Gitarren-Akkordeon, die Texte thematisieren den Schmerz der Isolation und die traurige Einsamkeit inmitten vieler. Dass die Thematik rund um religiöse Motive eine Anziehung auf den gläubigen Songwriter Stevens auslöst, ist natürlich keine Überraschung. Die Auseinandersetzung mit christlicher Spiritualität durchzieht schließlich sein Gesamtwerk. Seine Auftritte zu "Carrie & Lowell" glichen vom Aufbau der Bühne her einer Kirche, auf der "Age of Adz"-Tour stand er gar in Engelsflügeln vor seinen Konzertbesuchern.

Den Aufstieg in den Himmel erlebt auch Dorothy, die, von einem Wirbelsturm getragen, in der fernen Traumwelt von Oz landet. Die Pop-Band Scissor Sisters benutzten den naiven 30er-Jahre-Film noch als bitterböse Metapher über Drogenkonsum für ihren Song "Return To Oz". So viel Bösartigkeit trägt "Back To Oz" nicht in sich, eher eine weibliche Version von Peter Pan. Dorothy erlebt die betrübliche Seite des Erwachsenwerdens und verspürt Sehnsucht nach dem sorglosen Leben und der Unschuld ihrer Kindheit. Klingt eigentlich schmerzhaft, aber der funky Song inklusive Gitarren-Solo von De Augustine fegt die Nostalgie-Gedanken hinfort.

"A Beginner's Mind" ist auch das Zeugnis einer perfekten Harmonie, einer guten Freundschaft. Wie bei Kings Of Convenience oder Simon & Garfunkel fließen die Stimmen sanft ineinander und es entsteht eine aufdringliche Gelassenheit. Das alles inmitten all dieser Unversöhnlichkeit und Ismen. Stevens und De Augustine würden es wohl auch schaffen, dass der Amokläufer D-Fens aus "Falling Down" sein Gewehr fallen lässt oder Darth Vader und Luke eine erfolgreiche Familientherapie eingehen. Lasst uns doch einfach alle wieder eine Pizza essen und einen guten Filmabend genießen. In diesem Sinne: Lasst es euch schmecken, ihr Hippies.

Trackliste

  1. 1. Reach Out
  2. 2. Lady Macbeth In Chains
  3. 3. Back To Oz
  4. 4. The Pillar Of Souls
  5. 5. You Give Death A Bad Name
  6. 6. Beginner's Mind
  7. 7. Olympus
  8. 8. Murder and Crime
  9. 9. (This Is) The Thing
  10. 10. It's Your Own Body And Mind
  11. 11. Lost In The World
  12. 12. Fictional California
  13. 13. Cimmerian Shade
  14. 14. Larimae

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1 Kommentar mit einer Antwort

  • Vor 2 Jahren

    wir sind uns darüber einig, dass buffalo bill auf ed gein basiert, oder? und ed gein hat viel dafür getan, um zu seiner toten mutter zu werden.
    tatsächlich reden aber starling und lecter über bills/eddys versuche zu trans-zendieren. und lecter sagt (fast wortwörtlich) dass billy eben NYCHT transsexuell/schwul ist sonder etwas tausendmal grausameres