laut.de-Kritik
Subtile und spannende Klänge, die nach einem Drehbuch verlangen.
Review von Toni HennigDer Erfolg des Netflixphänomens "Stranger Things" mit Winona Ryder in der Hauptrolle reißt nicht ab. Kyle Dixon und Michael Stein, zwei von vier Musiker hinter Survive, steuern den Soundtrack zu der mit 80er-Referenzen gespickten Science-Fiction-Serie bei. An das erste Album der Texaner für das Extrem-Metal-Label Relapse stellt man hohe Erwartungen. Dabei veröffentlicht die Band, komplettiert durch Mark Donica und Adam Jones, schon seit 2010 in Eigenregie experimentelle Synthwavemusik und versucht mit "RR7349" gar nicht erst, ein zweites "Stranger Things" aufzunehmen.
"A.H.B." wabert gemächlich mit Assoziationen in Richtung "Blade-Runner" durch die Lautsprecher, während analoge Synthies dezent vor sich hin grooven. Entschleunigung und Reduktion bestimmen somit die knapp 40 Minuten.
Das folgende "Other" klingt mit mysteriösen Vocoderstimmen wie ein zeitlupenartiger Trip in eine fremde Parallelwelt. "Dirt" nimmt anschließend ein wenig Fahrt auf. Die jaulende Synthiegitarre lässt nicht nur an den "Miami-Vice"-Score denken, sondern bringt außerdem ein paar Lichtstrahlen in das trist anmutende Soundbild.
Survive greifen auch im weiteren Verlauf klanglich auf alle erdenklichen 80er-Jahre-Referenzen von "Terminator" bis "Knight Rider" zurück. Der Vierer versteht es dennoch neben aller Retrofuturistik den Hörer atmosphärisch einzuhüllen. "RR7349" sorgt für genügend Kopfkino. Trotzdem verlangt man umgehend nach einem Drehbuch für diese Musik.
Neben einer lässigem Synthline in EBM-Manier entführt "High Rise" mit gezielt eingesetzten Klangeffekten in ein technologisches Zeitalter, in der Maschinen die Welt bevölkern. In "Wardenclyffe" kehrt wieder Düsternis in den Sound des Vierers ein. Die angespannte Nervosität eines Horrorthrillers untermalen die vor sich hinpluckernden Synthies und dramatischen Klangeffekte eindringlicher als die Fingerübungen eines John Carpenter in den letzten Jahren. "Sorcerer" knüpft an diese beklemmende Gruselstimmung nahtlos an.
Ambiente Klangsphären im Stile Badalamentis umgarnen das nebelige "Low Fog" und führen durch die geheimnisvollen Wälder von Twin Peaks. In "Copter" kreisen die Synthies repetitiv à la Tangerine Dream durch den Track, dystopische Klänge beschwören eine zerstörerische Science-Fiction-Welt in bester Robocop-Manier herauf. Bei der beklemmenden Spannung, die "Cutthroat" aufbaut, kommen gar die italienischen Soundtrackspezialisten von Goblin in den Sinn.
Im Gegensatz zu den "Stranger-Things"-Scores stehen auf "RR7349" keine Klangskizzen zur atmosphärischen Untermalung von Schlüsselszenen im Vordergrund. Mit ihrem subtilen, ausformulierten Charakter faszinieren die Tracks schon von ganz alleine. Dennoch verwebt der Vierer verschiedene Stimmungen und Assoziationen zu einem runden Gesamtwerk, das zu den herausragendsten elektronischen Veröffentlichungen 2016 zählt.
3 Kommentare mit einer Antwort
Subtil ja, Spannend ???? NEIN
Atmosphärisch muss man sich darauf einlassen, aber wenn, gibt es auch nach zehn Hördurchgängen tolles zu entdecken. So richtig klick hat es aber auch erst beim dritten Versuch gemacht. Dann aber richtig.
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Das offizielle Debüt gibt's hier: https://holodeckrecords.bandcamp.com/album…
Ist noch nicht so ausproduziert, insgesamt ambienter und ruhiger, aber nicht unbedingt schlechter. Das aktuelle Album kann man sich auch hier auf Tape bestellen, für die Old-School-Fraktion.