laut.de-Kritik

Norddeutschlands beste Trinkkapelle ist wieder da.

Review von

"Hast du etwas Halt für mich / dann singe ich kein Lied für dich". Was eine Zeile. Swutscher, Norddeutschlands beste Trinkkapelle ist wieder da. Im Gepäck haben sie Pubrock, Wortwitz, Außenseitertum und Hits, Hits, Hits. "Swutscher", ihr zweites Album, fühlt sich zu jeder Sekunde erfrischend direkt an. Die Vorabsingle "Tabak" spielt nicht nur vorsichtig mit der Doppelbedeutung ihres Titels (Parfüm oder Zigaretten?), sondern wartet dazu mit einer absurd schwitzigen Bluesgitarre auf, die sofort mitreißt. Ein bisschen, als wären "Die Besten Jahren" der International Music nicht auf der Kunsthochschule, sondern der Autowerkstatt daneben gewesen.

"Rocker" spielt genau in diesem Milieu. Die Gitarre heult auf wie die Maschinen in den Werner-Comics. Vor allem das Jaulen von Sänger Sascha Utech "Ich bin ein wa, wa, wa, wa, wa / waschechter Rocker" klingt nach durchdrehenden Reifen und Motoröl. Hier ist der Rocker kein Anhänger der Rolling Stones per se, sondern eine seltsame Rockabily-Erscheinung, die ihre Elvis-Pomade durch Schweiß und mangelnde Duschhygiene ersetzte hat. Mehr Rock'n'Roll geht eigentlich nicht. Am Ende will der Swutscher eben nur zur "Bar".

Da wird eben "Palm Royale" getrunken (gegen das die Internationals sicherlich auch nichts einzuwenden haben, aber egal). Das belgische Starkbier nimmt sich Sänger Sascha Utech zum Anlass, von seinen Reisen als einsamer Cowboy durch die Landschaften Norddeutschlands zu erzählen. Seine Kumpanen tun ihm natürlich den Gefallen, ihm dazu einen maßgeschneiderten Truck Stop-Countrysong zu nähen, damit die Weite Norddeutschlands zur vorzüglichen Analogie zum Wilden, Wilden Westen wird. Klar, das Midi-Keyboard bleibt im Giftschrank liegen. Danke dafür.

Es kommt eben nicht von Ungefähr, dass der Countryschlager aus dem Studio bei Maschen eher im Milieu Ü40-Dorfdiskothek läuft, während die Swutscher-Promotexte von Deutschlands Indie-Superboy Jan-Klaas Müller kommen. Generell, Indie läuft bei Swutscher auf und ab. "Als Ich Dich Das Erste Mal Vergaß" schrammelt wunderbar Garage Rock-mäßig, der Hall auf dem Gesang verweist auf Post Punk, das zirkulierende Schlagzeug ebenso, die Verzweiflung sowieso. Hier schimmert eine Düsternis, die in Deutschland die Swutscher-Freunde Isolation Berlin par excellence verkörpern. "Schenk mir Zärtlichkeit und bittersüßen Wein / Ich will alles für dich sein" ist eine Zeile, wie gestohlen aus dem gepeinigten Hirn von Tobias Bamborschke. Ja, ja, ja. Gib mir Bier bis zur Besinnungslosigkeit, das hier ist großartig. Ich will mit Utech, Sven Stellmach, Velvet Bein, Martin Herberg, Mike Krumhorn und Sebastian Genzink in einer vollgerauchten Absteige sitzen und ihrem Wahnsinn zu hören. Utech steigert sich immer weiter hinein, sein Wunsch "Ich hoffe du kannst besser schlafen als ich" ist voller Schmerz und Hingabe, es ist zum Heulen schön.

Es ist diese unvorhergesehe Emotionalität, die "Swutscher" zu einem wirklich außergewöhnlichen Album erhebt. Immer wieder schimmern hier Momente durch, die aus dem Pubrock hervorstechen und in eine ganz andere Richtung verweisen. Das Saxophon in der Die Türen-Hommage "Tohuwabohu" ist so wunderbar weich und melodisch, es übernimmt mühelos den gesamten Song. "Mystische Nächte" hingegen probiert sich an einem Leierkasten-Rhythmus für einen kleinen Einblick in arabische Mystik. Der Nochmalhören-Faktor des Song ist dadurch zwar eingeschränkt, aber als Experiment ist er allemal interessant.

Der Closer "Bodo" zielt dann zum Abschluss nochmal auf die emotionale Magengrube. Utech imaginiert sich selbst als "Bodo", der nach Wärme sucht, "wenn es sie denn gibt". All das verpacken Swutscher in ein langsames, herrlich melancholisches Kunstlied. Hier steckt der Schmerz eines ganzen Lebens drinnen, alle Einsamkeit, Kälte, Verzweiflung. Die Gitarren jaulen noch einmal so schön auf, wie sie das früher gemacht haben. "Es ist so schön / nur mit dir ganz allein / nur zu zweit".

Trackliste

  1. 1. Daheim
  2. 2. Tabak
  3. 3. Als Ich Dich Das Erste Mal Vergaß
  4. 4. Im Suhlenkamp
  5. 5. Palm Royale
  6. 6. Ü30
  7. 7. Mystische Nächte
  8. 8. Rocker
  9. 9. Tohuwabohu
  10. 10. Bodo

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