laut.de-Kritik

Der 73-jährige Saitenmagier in Bestform.

Review von

Der 73-jährige Saitenmagier Terje Rypdal gründete 2017 das Quartett Conspiracy, das neben ihm aus Keyboarder Ståle Storløkken, Drummer Pål Thowsen, der durch sein detailreiches Spiel auf den Arild Andersen-Alben in den 70er-Jahren Bekanntheit erlangte, und dem jungen Bassgitarristen Endre Hareide Hallre besteht. Das nutzte er zunächst, um Stücke seiner Bands Odyssey und The Chasers weiterzuentwickeln und sich somit wieder mehr auf seine rockigen Wurzeln zu besinnen, wie man auf den Tourneen des Vierers in den letzten Jahren sehen konnte, die er aus gesundheitlichen Gründen sitzend bestritt.

Diese Pläne verwarf er jedoch irgendwann. Jedenfalls begab er sich im Februar letzten Jahres ins Rainbow Studio in Oslo, um unter der Regie von Manfred Eicher mit der Band neues Material einzuspielen. Das findet man nun auf "Conspiracy", seiner ersten Studioplatte seit rund zwei Jahrzehnten.

Die verbindet die atmosphärischen Qualitäten seines 75er-Meilensteins "Odyssey" mit der verspielten, treibenden Kraft der beiden The Chasers-Alben Mitte der 80er. Schon wenn in "As If The Ghost ... Was Me!?" die ersten polyrhythmischen Drum-Sounds erklingen und sich kurze Zeit später Rypdals sphärische Fender Stratocaster sowie Storløkkens psychedelische Keyboard-Klänge dazugesellen, kann man sich den melancholischen Tönen nicht mehr entziehen. Später kommen noch erdige Bass-Sounds hinzu.

Die Nummer prägen überwiegend auf- und abebbende Saiten-Klänge, gelegentlich auch verzerrt, so dass man vor dem inneren Auge bei Regen auf das unruhige norwegische Meer blickt. Die Entladung bleibt jedoch aus. Das Stück verpflichtet sich ganz dem perfektionierten Schönklang von "Odyssey". Daran ändert sich auch mit dem folgenden "What Was I Thinking" nichts, das noch etwas nachdenklicher klingt, wenn Rypdals Band größtenteils im Hintergrund für atmosphärische Nuancen sorgt, so dass die verzerrten Saiten-Sounds ihre emotionale Wucht nicht verfehlen. Spätestens hier merkt man, dass der Norweger nichts an Magie eingebüßt hat. Sein Spiel tönt immer noch so ausdrucksstark wie zu "Odyssey"- oder The Chasers-Zeiten.

Dass er auch Rock immer noch aus dem Stegreif beherrscht, beweist der Titeltrack danach. Dort reißt er sich zu variablen Rhythmusverschiebungen an den Drums, verspulten Orgel- und spröden Bassklängen nicht nur zu deutlich freieren Jazz-Tönen hin, sondern betont auch seine wilde und ruppige The Chasers-Seite.

Es folgt mit "By His Lonesome" wieder eine Ballade, die mit nächtlichen Keyboard-Tönen und dezenten Drumeinwürfen im Hintergrund aufwartet. Dabei stehen poetische Bass-Sounds im Vordergrund, die Rypdal mit zurückhaltenden Klängen noch weiter akzentuiert. So kommt die gesamte lyrische Klasse Hallres hervorragend zur Geltung. Mit seiner Vielseitigkeit und Sensibilität braucht sich der junge Musiker hinter großartigen Rypdal-Bassisten wie Barre Phillips, Sveinung Hovensjø, Miroslav Vitous und Bjørn Kjellemyr auf jeden Fall nicht zu verstecken.

"Baby Beautiful" besteht zu Beginn ebenfalls aus stimmungsvollen Balladen-Klängen, hat aber in der Mitte auch ein paar ungestümere Sounds aus der Fender Stratocaster zu bieten. Gegen Ende stellt sich noch mit verschnörkelten Einsprenseln Storløkkens ein gewisses 70er-Jahre-Miles Davis-Feeling ein, nur um wenig später in einem hymnischen Finale Rypdals zu münden, das mitreißender kaum sein könnte. Zwischendrin schlägt der Norweger auch betörende Töne an, die an die ruhigen Stücke von The Chasers erinnern. Seine große stilistische Bandbreite manifestiert sich letzten Endes in dieser Nummer.

"Dawn" entführt dann zum Schluss mit bedrohlichem Schlagwerk und ambienter, finsterer Elektronik in die Dämmerung. Am Ende bleibt ein Album, das trotz aller musikalischen und emotionalen Vielschichtigkeit eine atmosphärisch in sich geschlossene, melancholische Einheit bildet. Es zeigt Rypdal in Bestform.

Trackliste

  1. 1. As If The Ghost … Was Me!?
  2. 2. What Was I Thinking
  3. 3. Conspiracy
  4. 4. By His Lonesome
  5. 5. Baby Beautiful
  6. 6. Dawn

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