laut.de-Kritik
Artrock-Klassiker mit Gaststar Orson Welles.
Review von Ulf KubankeLondon im August 1975: Alan Parsons und Eric Woolfson sind entnervt. Die Soundtüftler nehmen gerade "The Fall Of The House Of Usher" auf. Etwas fehlt ihrer Neo-Klassik-Suite zur schaurigen Poe-Atmosphäre: donnerndes Gewitter. Zu ihrem Verdruss bietet der Hochsommer nicht das kleinste Wölkchen weit und breit. Ein Ausweichen auf die in ihren Ohren dürftig klingenden Samples ihrer Klangbibliothek kommt nicht in Betracht.
Also packen sie ihre Koffer und suchen tagelang die Zeitungen nach den passenden Horror-Stürmen ab, bereit, überall hin zu fliegen. Leider ist aber auch weit und breit kein Unwetter in Sicht. Doch wie sollte es ander sein: Wenn es um Dreckswetter geht, kann man sich auf London stets verlassen. Kurz vor der totalen Frustration öffnet der Himmel über dem Abbey Road-Studio seine Schleusen und beschert dem Duo den optimalen Klangeffekt.
Das Alan Parsons Project-Album "Tales Of Mystery And Imagination" ist nicht nur eine gelungene Hommage an Edgar Allan Poes gleichnamige Geschichtensammlung. Die Platte gilt seither als wichtige Fußnote des Prog- und Artrock und verkörpert jene Seltenheit, bei der das Debüt einer Band auch gleich den Zenit des künstlerischen Schaffens bedeutet. Zwar veröffentlichen APP noch das wundervolle "Turn Of A Friendly Card" oder das ansprechende "Gaudi", ansonsten stößt man in ihrem reichhaltigen LP-Katalog aber auch auf viel Füllware.
Entsprechend einig sind sich Fachwelt und Fans: Nie wieder erreichten APP die Klasse von "Tales Of Mystery And Imagination", ihrem "Alan Parsons Poe-ject". Eine der großen Leistungen dieses Konzeptalbums liegt im undogmatischen Umgang mit den Begriffen Art und Prog. Melodischer Pop und eingängiger Rock haben hier ebenso einen Ehrenplatz inne wie sinfonische Passagen oder experimentelle Elemente. Dass manche Sequenz hier und da ein wenig an die Beatles oder Pink Floyd erinnert, verzeiht man den beiden gern. Immerhin gehörte Parsons zum technischen Personal beider Gruppen und war an Platten wie "Abbey Road" oder "Dark Side Of The Moon" beteiligt.
Daneben beweisen Parsons und Woolfson ein hervorragendes Gespür für perfekte Gäste. Besonders die Vocals garantieren bunt gefächerte Abwechslung, die den beiden allein wohl nicht im Ansatz gelungen wäre. Auf der Credibility-Skala ist diesbezüglich der Gewinn von Orson Welles' Stimme im Opener "Dream Within A Dream" unschlagbar. Persönlich getroffen haben sie Mr. "Citizen Kane" allerdings nie. Das zurückgezogen lebende Genie zog es vor, seinen Beitrag aufzuzeichnen und als Tape zu schicken. Die traumwandelnde Psychedelik der Musik und Welles' zwar hartes aber sehr warm rezitierendes Timbre harmonieren auch ohne direkten Kontakt.
Sehr elegant gleitet diese Ouvertüre in das sich langsam, aber unaufhaltsam aufbauende "The Raven" über, dem Konsens-Lieblingslied auf der Platte. Sogar hart gesottene Kritiker der Band gestehen dem Stück herausragendes Niveau zu. Dies liegt weniger an Parsons Robotvoice, die bis dahin im Popkontext eher Neuland darstellt. Der Clou ist der Gesang des Schauspielers Leonard Whitings im "Thus quoth the raven"-Part des Liedes. Woolfson sah ihn in Laurence Oliviers Theaterensemble und engagierte ihn für die Aufnahme.
Nach dem würdevollen Pathos kommt in "The Tell-Tale Heart" ein kompletter Irrer zum Zuge: Der exzentrische Arthur Brown ("Fire") ist für die gesetzten APP-Verhältnisse total ausgeflippt, er entflammt auf der Bühne seine Kopfbedeckungen, ohne sie abzusetzen und trainiert seine Proto-Halford/Dickinson-Screams unter anderem mit dem Zersingen von Gläsern. Hier liefert der Funken sprühende Brown das ultimative Quentchen Alan Parsons Prozac. Auch dieser Gast geht auf Woolfsons Konto, der Brown eine Zeit lang managte.
Dramaturgisch ist so ein Temperament nicht zu toppen. Insofern fahren sie mit "The Cask Of Amontillado" alles Adrenalin herunter und servieren mit Kumpel und Dauerkollabo-Partner John Miles (u.a. "Stereotomy") einen lieblichen Song voller Beatles-Harmonien. Das Lied klingt wie typischer Lennon/McCartney-Stoff im smart arrangierten APP-Mantel. Raffiniert lullt die Musik den Hörer ein, während die Zeilen eine todbringende Rachestory dicht an Poes Original erzählen: "Part of you dies each passing day / You feel your life slipping away."
Wer nach diesem Original nicht genug hat, dem empfehle ich das tolle Boxset. Es enthält unter anderen zusätzliche Spoken-Words von Welles, Outtakes und Demoversionen, die sich für Fans allesamt lohnen. Besonders die nachbearbeitete Extended-Version des Albums birgt für den Kenner der Ausgangsversion ein recht surreales Hörerlebnis. Doch genau das passt hervorragend ins Poe'sche Konzept: "All that we see or seem is but a dream within a dream."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
8 Kommentare mit 16 Antworten
Sehr gut geschriebene Rezension. Endlich wieder eine Band bzw. Album die ich abhaken kann. Habe erst letztens auf 3Sat ein Symphonie-Orchester trifft Parsons Konzert gesehen, leider haben sie gar nichts von diesem Album gespielt nichtmal den Raven.
Völlig zurecht der MS für APP! Trotzdem vergessen wurde, das APP mit dem Album quasi das Destillat für den Übergang von LP zur CD lieferten. Jeder der aufgeschlossen war gegenüber der CD als neues Medium, hatte es als Referenz im CD Turm zu der Zeit (87) und zwar ganz oben. Referenz in so weit, das viele meinten durch die Neuabmischung sei es APP gelungen CD`s nicht so kalt klingen zu lassen. Wir erleben aktuell ja auch einen Übergang bei den Medien, physische Datenträger zum Stream. Gibt es da auch ein Destillat – Produkt? So weit ich weiß nicht, also ist Tales auch ein letzter seiner Art.
Dann noch eines, für viele gilt das I Robot als „erstes“ Album von APP. Das liegt unter anderem daran, das Tales auf einem anderem Plattenlabel erschienen ist und es da wohl bezogen auf Marketing einige Auseinandersetzungen gab. Ob die nun beigelegt sind, vermag ich nicht zu sagen.
Gruß Speedi
guter punkt!
in der tat ist app - zusammen mit dire straits "brothers in arms" - die ewige urreferenz für das damals neue cd-medium.
ich hatte kurz überlegt, ob ich das erwähne. so in der art, wie in der rezi zum "brothers in arms"-meilenstein. habe mich dann aber bewusst dagegen entschieden. das passte irgendwie nicht in den textfluss, dessen fokus hier explizit auf 1975 lag.
für solch wichtige ergänzungen sind die kommentarspalten ideal. danke fürs erwähnen.
Ich hab die Scheibe als LP. Sie war damals in der Low Price Kiste, wahrscheinlich weil CDs angesagter waren.
Dire Straits ihr Bruder war für mich nie ihr Stein, das ist bei mir „Love Over Gold“ allein schon wegen „Telegraph Road.“ Übrigens das auf CD und das Gitarrensolo (ab 9:36 Knopfler All Time Gitarrengott) bzw. das entfernte Gewitter am Anfang, als wenn der Blitz neben dir ein einschlägt, Hammer. So eine Weite und Klarheit ist mir nie wieder unter gekommen, auf keiner CD danach und das bezieht sich nicht nur auf DS.
Wenn der Textfluss auf 1975 lag, wieso wurde dann Orson Welles erwähnt? Das Original-Album hatte den doch gar nicht drauf sondern erst die Neu-CD-Auflage, wenn ich mich richtig erinnere?
Ansonsten super Album, immer noch Gänsehaut!
Meuri wieder heftig am abstylen, naise!
Hab um 80ig rum die LP gekauft, die ist zwar nicht mehr da aber ich mein Orsen Wells war auf der schon drauf. Und man nennt mich auch Elefant!
Gruß Speedi
Und Orsen Welles unerwähnt lassen, einen der größten Filmschaffenden des letzten Jahrhunderts? Unmöglich!!!
Yo Meuri, Orson Welles wird zufällig auch gerade im Chat thematisiert. Komm ma rum.
https://webchat.quakenet.org/
Channel ist #gromky
Ey während deine Freundin denkt: Wird Zeit dass ich mich mal wieder im Bett mit Jack Orsen wälz'/
Isst du mit Kaas und einem anderen Orson Wels/
prrrrrrrrrrrr
Kann nicht sein. Orson Welles kam erst auf die 1987 erschienene CD-Fassung drauf. Quelle: Wikipedia und mein Gedächtnis. Fand ich als Fanboy nämlich doof und ich musste dann bis zur DeLuxe-Edition 2007 warten, bis ich endlich das original wieder hatte.
obi, gute frage
ganz einfach: weil man auch aus dem 76er blickwinkel an welles nicht vorbeikommt.
das storytelling bzgl welles gehört ja - unabhängig von der jeweiligen edition - in die 70er, weil es damals aufgenommen wurde. ob das endgültige release dann früher oder später kommt, ist ja ne andere frage. das konzept und die aufnahme fand anno 1975 statt.
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
insofern kann man quasi seit 30 jahren hören, wie es seit 40 jahren gemeint war.
schade natürlich, dass der orson es in ermangelung von lebendigkeit nicht mehr hören konnte. letzteres hätte man natürlich so deutlich darlegen können. aber das wäre alles zu lang geworden.
Wikipedia: "Verwendet wurden diese Aufnahmen allerdings nur für Präsentation und Promotion der LP."
Nachdem ich das von mir geschriebene und von euch beiden hier geschriebene versucht habe zu verifizieren, frage ich mich was ich 1980 ca. gekauft habe für eine LP? Die CD und/oder beides zusammen hab ich nie gekauft.
tolle Rezi, geniales Album (meine erste CD!). Höre es immer mal wieder gerne. Und an der Stellle von "The Fall Of The House Of Usher", wo der Regen einsetzt, bekomme ich nach wie vor IMMER eine Gänsehaut...
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Es gibt sie nunmal, die weithin und allgemein völlig überschätzten Pop-Elaborate. Erst vor kurzem wieder mal zur Selbstvergewisserung angehört. Es bleibt dabei: Ein unspannender und teils saft- und kraftloser Langweiler mit hohem Nerv-Faktor. Millionen Fliegen etc. ... Vergleiche auch die Anti-Rezi von Sascha Seiler im aktuellen Eclipsed-Magazin. Recht hat er, der Mann!
Bei der Formulierung „Pop-Elaborate“ habe ich aufgehört zu lesen. Bin mir aber sicher, dass der Rest des Beitrags an Schrecklichkeit da locker mithalten kann. Aber das sollte sich keiner antuen müssen, ich tue das jedenfalls nicht.
captain_beyond hast du einen Link zur Rezi von Sascha Seiler?
R.I.P. John Miles, dessen Stimme auf diesem Meisterwerk an mehreren Stellen verewigt ist. Warum hat diese Legende hier nicht mal ein Porträt?