laut.de-Kritik
Der Soundtrack zur Sinnfrage: Was sollen wir glauben?
Review von Toni HennigVor zwölf Jahren kam mit "Ma Fleur" das letzte Studioalbum des in London ansässigen Cinematic Orchestra auf den Markt. Es war eine schlichte Platte, die zum größten Teil vom fragilen Vortrag der verschiedenen Gastvokalisten und -vokalistinnen lebte. Daran ändert sich mit "To Believe" nicht unbedingt viel. Jedoch erinnert es an einigen Stellen auch wieder an das Experimentelle der ersten beiden Werke.
Orchesterleiter Jason Swinscoe geht es in Zeiten des Brexits und Donald Trumps um die Reflexion des politischen Tagesgeschehens der letzten Jahre und um die Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens. Dabei stellten er und sein langjähriger Produzenten-Partner Dominic Smith eine zentrale Kernfrage, die auch 2019 immer noch zeitlos erscheint: "Was sollen wir glauben?"
So kreist das schon 2016 vorab veröffentlichte Titelstück, eine zärtliche Akustik-Ballade mit Moses Sumney am Mikrofon, um die "Idee, dass die Essenz des Lebens Glaube ist". Behutsame Saitentupfer, cineastische Streicher und melancholische Piano-Töne geben seiner gleichzeitig tröstenden und brüchig-melancholischen Stimme den nötigen Raum, um ihre Emotionalität vollends zu entfalten. Die dramatischen Crescendi zum Schluss strahlen einerseits eine gewisse Schwere, andererseits auch Hoffnung aus.
Die Frage des Glaubens soll der Hörer letzten Endes für sich beantworten. Dementsprechend bieten Swinscoe und sein Orchestra den passenden Soundtrack für die ruhigen Stunden im Leben, wenn man sich gerade darüber Gedanken macht, ob der Mensch etwas Höherem unterliegt, ob sich alles auf diesem Planeten noch einmal zum Guten wendet und was wir selbst dafür tun können.
In "A Caged Bird/Imitations Of Life" hält selbst Roots Manuva, der schon in der Vergangenheit mit dem Cinematic Orchestra zusammenarbeitete, seine Wut im Zaum und zeigt sich mit nachdenklichen Rap- und Gesangseinlagen von seiner empfindsamen Seite, während Dub-Beats, Electronica-Sounds, flächige Streicher und akzentuiernde Klavier-Klänge eine versponnene Atmosphäre erzeugen. Die erschließt sich gemäß Swinscoes musikalischen Vorlieben "erst nach mehreren Hördurchgängen".
Ebenso sollte man für "Lessons" mit polyrhythmischen Jazz-Drums, verspielten Post-Rock-Elementen und verhaltenen Synthies etwas Geduld aufbringen, zumal sich die repetitiven Klangmuster kaum zum Nebenbeihören eignen. Dafür wartet "Wait For Now/Leave The World" mit wunderschönen, herzerwärmenden Gesängen von Tawiah auf, begleitet von sanftem Fingerpicking, etwas Glockenspielartigem und sphärischen Streichern, die ein ganzes Himmelszelt auf Erden aufschlagen. Am Ende runden verträumte Electronica-Spielereien die Nummer gelungen ab.
Es folgt mit "The Workers Of Art" ein Instrumental, das mit tristen Piano-Sounds und flirrenden neoklassischen Streichern das Firmament kurzzeitig verdunkelt. Demgegenüber schimmern, wenn Grey Reverend in "Zero One/This Fantasy" mit seiner unaufdringlichen Stimme einen beruhigenden, warmen Kontrast zur hektischen Polyrhythmik und verkopften Elektronik setzt, wieder ein paar zaghafte Lichtstrahlen durch. Er bewegt sich schon länger im Umfeld Swinscoes, genauso wie Heidi Vogel, die durch das abschließende "A Promise" führt.
Kreisende Ambient-Figuren und filmische Streicher rollen den Teppich aus, auf dem sie sich zugleich von ihrer stolzen als auch verletzlichen Seite präsentiert. Rhythmische Breakbeats und Elektronik tänzeln ausgelassen um ihre androgyne Stimme, die nach und nach eine immer zuversichtlichere Färbung annimmt.
Der Song verdeutlicht also, dass sich Jason Swinscoe und sein Orchestra neben dem Aufwerfen von Sinnfragen ebenfalls darum bemühen, Schönheit in die Welt zu tragen. Letzten Endes zählt das Hier und Jetzt. Dabei setzt sich die Musik über jegliche Trends hinweg, ohne aus der Zeit gefallen zu wirken.
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