laut.de-Kritik
Schunkelnde Geschichten aus der Gosse.
Review von Giuliano BenassiManchmal ist es schon verwunderlich, dass eine Platte oder ein Künstler im Umlauf sind, die niemand richtig wahrnimmt, obwohl sie durchaus interessant klingen. So auch im Falle Stefan Murphys, der seit 2006 als Mighty Stef sein Unwesen treibt, unzählige Konzerte im Vorprogramm bekannter Bands gegeben hat und musikalisch sowie textlich einiges zu bieten hat.
Vielleicht liegts am Künstlernamen, der ziemlich beschissen klingt. Dabei hat Murphy eine einprägsame Stimme, die irgendwo zwischen Punk und Folk liegt. Er erinnert etwas an Shane MacGowan, der (wenig überraschend) das Vorbild des Dubliners ist. Zumindest musikalisch.
Klingt der rockige Opener noch ein bisschen zu sehr nach Schielen auf die Charts, folgt mit "Safe At Home" ein erster Höhepunkt. Murphys Duettpartnerin ist Cait O'Riordan, einst Bassistin bei den Pogues und Ex-Ehefrau Elvis Costellos, die der Geschichte um einen Jungen in schwierigen Umständen eine einprägsame Note verleiht - sie melancholisch, er energiegeladen.
In Begleitung eines Klaviers handelt "Kings Of New York" von zwei Freunden, die sich auf eine Sauftour begeben, während "Golden Glove" räudigen Rockabilly bietet. Überraschend finden auch immer wieder Stücke Platz, die eher als angeraute Volksmusik einzustufen sind. So "Hound Dog Of Love", der Titeltrack oder "Russian Roulette", eine Ode an Johnny Ace, dessen Tod bereits Paul Simon zum Thema machte.
Die ersten Zeilen des Songs offenbaren einen eigenen Blick auf die Dinge dieser Welt: "Ich habe abscheuliche Schmerzen, einen furchtbaren Kater. Wie Johnny Ace werde ich mir einen Revolver schnappen und Russisch Roulette spielen" heißt es dort übersetzt. Ähnlich schräg der Anfang des fröhlich anmutenden, countryesken "Sunshine Serenade": "Steck dir ruhig deine dreckige Nadel in die Vene. Schau aber zu, dass sie dir nicht die Lebensfreude raubt".
Eine kleine Enttäuschung stellt der vermeintliche Höhepunkt des Albums dar, ein Duett mit Altmeister Shane MacGowan. Was weniger an dessen mittlerweile geschwundenen Gesangsfähigkeiten liegt – bei den Popes klang er wesentlich fertiger -, aber an der mit Pathos geladenen Produktion. Wobei es nicht einfach ist, ein verzweifeltes Stück wie "Waitin' Around To Die" besser zu interpretieren als dessen Autor Townes Van Zandt.
"100 Midnights" ist ein facettenreiches Album, das auf eigentümliche Weise immer wieder den Weg ins Abspielgerät findet. Perfekt ist es nicht, aber dann würde es auch nicht zu den behandelten Themen aus der Gosse passen.
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