laut.de-Kritik

Das Postrock-Kollektiv vertont die Evolution des Lebens.

Review von

Du, wie du gerade hier sitzt und diesen Text liest, hast dies in diesem Moment deines Lebens schon unzählige Male getan und wirst dies fortan bis in alle Ewigkeit wiederholen. Nietzsches Konzept der ewigen Wiederkehr dient The Ocean als philosophischer Aufhänger.

Auf naturwissenschaftlicher Seite wendet sich das Postrock-Kollektiv nach der horizontalen und psychologisch gefärbten Tiefseetaucherei auf "Pelagial" wieder der linearen Betrachtung eines Erdzeitalters zu. Das Phanerozoikum beschreibt das seit 541 Millionen Jahren andauernde jüngste Zeitalter des sichtbaren Lebens. Somit stellt "Phanerozoic" das Bindeglied zwischen "Precambrian" und "Anthropocentric"/ "Heliocentric" dar.

Wie schon bei den Vorvorgängern erstreckt sich das Konzept über zwei Teile. Der Nachfolger ist für 2020 angedacht. Im Gegensatz zum Abstieg auf den Meeeresgrund, der musikalisch sehr variabel ausfiel, nehmen The Ocean die nach menschlichem Denken unermesslich lange Zeitspanne zum Anlass, die langsamen evolutionären Umwälzungen musikalisch abzubilden. Der an Bands wie Neurosis, frühere Mastodon oder Tool erinnernde Mahlstrom schleppt sich beileibe nicht langweilig dahin.

Dies erreicht die Band mit dem reduzierten Einsatz musikalischen Materials bei gleichzeitig großer Detaildichte in Sachen Arrangement und Sound. Cello, Bläser und Synths sorgen für die nötigen Farbtupfer.

Auch Sänger Loïc Rossetti singt variabel und konterkarriert stellenweise die massiven, an Cult Of Luna erinnernden Klangwände. Wie auf deren "Mariner" benötigt das Konzept Zeit, um ins Bewusstsein vorzudringen. Dann funktionieren Epen wie das von Gastvokalist Jonas Renkse (Katatonia) veredelte atmosphärische Monster "Devonian - The Nascent" oder der Abgesang auf 95 Prozent der damaligen Lebewesen in "Permian -The Great Dying", das mit einer imposanten Soundkulisse aufwartet, die zum Ende ins noisige abdriftet.

Dieses Massensterben geht laut Staps auf die Erderwärmung zurück, womit der Bandleader eine Brücke zu den Gefahren des durch den Menschen verursachten Klimawandels schlägt. Eine große Stärke von "Phanerozoic" liegt im melodischen Zusammenhalt der Stücke. Insbesondere "Cambrian II - The Eternal Recurrence" macht die Aussicht auf eine ewige Beschäftigung mit der Platte zu einem immerwährenden Hörvergnügen.

Trackliste

  1. 1. The Cambrian Explosion
  2. 2. Cambrian II: Eternal Recurrence
  3. 3. Ordovicium: The Glaciation Of Gondwana
  4. 4. Silurian: Age Of Sea Scorpions
  5. 5. Devonian: Nascent
  6. 6. The Carboniferous Rainforest Collapse
  7. 7. Permian: The Great Dying

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3 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Hab bisher recht viel Positives drüber gelesen / gehört. Beim ersten Mal durchhören fand ichs auch überhaupt nicht schlecht, im Gegenteil: gut durchdacht, häufig auch interessant und das Konzept feier ich auch. Nur so wirklich emotional mitreißen tuts mich leider gar nicht...
    Mal schauen obs nach 3-4 Durchläufen wächst...

  • Vor 6 Jahren

    Alles Zeitverschwendung wenn m1 Precambrian hören kann.

    • Vor 6 Jahren

      Hm. So richtig "gefühlt" hab ich persönlich sie ja vor allem mit Aeolian.

      "Queen of the food-chain" gehört bis heute zu meinen allerliebsten Prog-Metal-Tracks.

    • Vor 6 Jahren

      Precambrian ist die klar reifere Platte und gewinnt für mich durch gleichzeitig größere Vielseitigkeit und atmosphärische Dichte.

      Aeolian ist natürlich feinstes Mett, aber hört sich noch nach Musik an, die von Menschen gemacht wurde. CD1 von Precambrian ist für mich das musikalische equivalent zu Magmaflüssen und tektonischer Plattenbewegung.

      "Where does it come from? And how was it made?" ist auch noch verdammt catchy. :D

      Da wir gerade bei Prog und Hardcore sind: Kennst du Gospel? Und wenn ja (ich gehe mal davon aus), warum hast du die nie empfohlen?

    • Vor 6 Jahren

      Kenne ich nicht. Werde ich aber mal reinhören.

      Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich in diesem Jahrzehnt wohl maximal den großen Zeh in den Extreme- und Prog-Metal-Pool gehalten, aber die für mich wichtigsten Platten der aktuellen Dekade schlagen überwiegend leisere Töne an. Deshalb ging "Precambrian" wohl ebenfalls ohne entsprechende Würdigung an mir vorbei.
      Liegt bei mir sicher auch oft daran, welchen Stil meine jeweilige Hauptband zu dem Zeitpunkt selber gerade anstrebt. Letztes Jahrzehnt musizierte ich überwiegend mit Leuten, die in dem Bereich echte Ambitionen entwickelten und hab mich davon auch ziemlich intensiv in die zugehörige musikalische Szene mitziehen lassen.

      Plus: Damals unterstrich harte, aggressive und dabei hochkomplexe Musik mit verzerrten Gitarren noch ein ständig vorhandenes Lebensgefühl für mich, welches heutzutage nur noch punktuell in mir aufflackert.

    • Vor 6 Jahren

      Hm, aber zumindest die zweite Hälfte von Precambrian sollte dann doch jetzt eher was für dich sein, da das Geknüppel da immer wieder mit ruhigen Parts aufgebrochen wird.

  • Vor 6 Jahren

    Es ist eine gute Platte, keine Frage. Sie haben sich zum Glück aus dem Sumpf von Heliocentric/Anthropocentric gehoben.
    Aber ich muss zustimmen, ergriffen hat mich die Platte auch noch nicht. Außer Cambrian, da fühlt man sich richtig zuhause, vor allem da die Verknüpfung perfekt gesetzt wurde.
    Aber es ist auch schwierig ein Masterpiece wie Precambrian zu toppen. Auf die Platte kann Robin echt stolz sein. Für mich in Vielem Maß aller Dinge.
    Rund ist sie nicht, sie eckt total, aber genialst. Das ist die Kunst daran.