laut.de-Kritik

Mit House, Ambient, Dub-Reggae und IDM gegen das Establishment.

Review von

Nach dem letzten Album "No Sounds Are Out Of Bounds" von 2018 hat sich bei The Orb personell etwas Neues getan. Michael Rendall, der erst vom Live-Mitglied zum Studiotechniker berufen wurde, stieg nämlich zum vollwertigen Haupt-Songwriting-Partner von Alex Paterson auf und komplettiert somit das Duo nach dem Weggang Thomas Fehlmanns. Beide teilten sich für das nun veröffentlichte "Abolition Of The Royal Familia" auch die Produktionsaufgaben, die beim Vorgänger noch von Youth übernommen wurden. Den hört man dafür neben Roger Eno und alten Weggefährten wie Steve Hillage oder Miquette Giraudy von Gong und System 7 sowie vielen weiteren Musikern als Gast.

Thematisch knüpft die Platte an die vorherigen Scheiben des Duos an, die sich gegen das Establishment richten, wenn auch auf ihre eigene Weise. Sie speist zum Teil ihre Inspiration aus der historischen Unterstützung des Opiumhandels der East India Company durch die Royal Family, die Indien enormen Schaden zugefügt hatte. Auch resultierten daraus zwei Kriege mit China im 18. und 19. Jahrhundert. Das spiegelt sich in den vielen historisch inspirierten Samples auf dem Werk wieder.

Das fängt für The Orb-Verhältnisse erstaunlich frisch an, wenn in "Daze (Missing & Messed Up Mix)" entspannte Disco-Beats auf Vocals von Andy Cain treffen, so dass die Briten den Bogen zu aktuellen House-Acts wie A.A.L. (Against All Logic) spannen. Da hofft man, dass sie noch einmal das Genre um ein paar lebhafte Akzente bereichern könnten. Dies geschieht aber im weiteren Verlauf nicht.

Schon mit dem folgenden "House Of Narcotics (Opium Wars Mix)" wühlen The Orb ganz tief in der Vergangenheit, denn wenn Acid-Beats, soulige Streicher, Raps und gelegentliche "hey-hey-yeah"-Samples ertönen, fühlt man sich in die Glanzzeit des House' zu Beginn der 90er-Jahre zurückversetzt.

Was hier noch als liebevolle Hommage an das Genre durchgeht, wirkt im folgenden "Hawk Kings (Oseberg Buddhas Buttonhole)" durch die ereignislose 4/4-Struktur und durch das ab und an auftauchende Sirenen-Geheule vergleichsweise banal. Da reißt es "Honey Moonies (Brain Washed At Area 49 Mix)", das mit spaciger Elektronik mehr in Richtung Detroit-Techno geht, auch nicht gerade raus, zerstört das aufdringliche Gesangssample nach der Mitte doch den straighten Fluss.

Der exorbitante Sample-Gebrauch des Duos erweist sich im weiteren Verlauf ebenso als Problem wie auch die vielen stilistischen Wechsel. Eine Vielzahl unterschiedlichster Einflüsse gab es zwar schon auf "The Orb's Adventures Beyond The Ultraworld" von 1991, aber im Gegensatz zu "Abolition Of The Royal Familia" verzichtete es auf dem Ambient-House-Klassiker auf überflüssiges Brimborium, das einer trippigen Sounderfahrung im Weg hätte stehen können und setzte zudem noch auf ein ausbalancierteres Soundbild.

In den nächsten Tracks wähnt man sich jedenfalls in psychedelischen Ambient-Sphären. Immerhin sorgt die Trompete von Oli Cripps hier und da mal für eine angenehm abendliche Stimmung. Ansonsten wäre man bei den gleichförmigen Klangflächen schon längst eingeschlafen. Von der pulsierenden Magie eines "A Huge Ever Growing Pulsating Brain That Rules From The Centre Of The Ultraworld" bleibt also rein gar nichts mehr übrig.

Interessanter gestaltet sich die Dub-Reggae-Phase, die ab dem zweiten Teil von "Shape Shifters (In Two Parts) (Coffee & Ghost Train Mix)" beginnt. Vor allem "Ital Orb (Too Blessed To Be Stressed Mix)" lässt ziemlich aufhorchen, wenn man nebst entspannten, geradlinigen Rhythmen rituelle Gesangs- und exotische Instrumenten-Samples vernimmt, so dass eine recht eigenwillige Atmosphäre entsteht, die an African Head Charge erinnert. Nur fahren die Briten gegen Ende mit einem penetranten Sprachsample jeglichen Groove an die Wand.

Dennoch ist das mal etwas klanglich Hervorstechendes, wie auch das anschließende "The Queen Of Hearts (Princess Of Clubs Mix)", das mit raschen Breakbeats, verträumten IDM-Synthies und geloopten Samples gut in den Katalog des WARP-Labels passen würde. Zum Schluss schlägt das düstere Ambient-Stück "Slave Till U Die No Matter What U Buy (L'anse Aux Meadows Mix)" sogar wieder die Brücke zur Jetztzeit, aber nur, was das gerade recht aktuelle Sprachsample angeht, wenn es heißt: "Stay in your homes ... no more than two people may gather anywhere without permission."

So viel Visionäres findet man musikalisch nicht mal im Ansatz auf "Abolition Of The Royal Familia". Sicherlich wäre es all zu optimistisch, zu erwarten, dass The Orb nach mehr als dreißig Jahren im Geschäft die elektronische Szene noch einmal kräftig aufwirbeln. Jedoch verlieren sie vor lauter Konzept oftmals zu sehr den eigentlichen Track aus den Augen.

Trackliste

  1. 1. Daze (Missing & Messed Up Mix)
  2. 2. House Of Narcotics (Opium Wars Mix)
  3. 3. Hawk Kings (Oseberg Buddhas Buttonhole)
  4. 4. Honey Moonies (Brain Washed At Area 49 Mix)
  5. 5. Pervitin (Empire Culling & The Hemlock Stone Version)
  6. 6. Afros, Afghans and Angels (Helgö Treasure Chest)
  7. 7. Shape Shifters (In Two Parts) (Coffee & Ghost Train Mix)
  8. 8. Say Cheese (Siberian Tiger Cookie Mix)
  9. 9. Ital Orb (Too Blessed To Be Stressed Mix)
  10. 10. The Queen Of Hearts (Princess Of Clubs Mix)
  11. 11. The Weekend It Rained Forever (Oseberg Buddha Mix (The Ravens Have Left the Tower))
  12. 12. Slave Till U Die No Matter What U Buy (L'anse Aux Meadows Mix)

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