laut.de-Kritik
Derry Calling: Nie hat Nordirland mehr gerockt.
Review von Michael SchuhSo macht Nostalgie Spaß: Zu einer ohnehin wunderschön aufgemachten und inhaltlich souveränen Zusammenstellung der Undertones-Bandhistorie gesellt sich eine neu aufgelegte Vinylsingle ihres Überhits hinzu, mit Original-Cover und aufklappbarem Poster. Natürlich streng limitiert und nur als Schmankerl für die ganz schnellen Käufer der Doppel-CD gedacht.
Bitte? Wie der Überhit heißt? Von den Undertones? Dein Leben mag bis jetzt schön und nett gewesen sein, mit "Teenage Kicks" wird es ab dem Kauf der vorliegenden Anthology (oder des Songs im MP3-Store) mit Sicherheit gigantisch.
Der Song, der die Punkband von den grauen Straßen des nordirischen Derry ins schillernde Epizentrum der Popmusik des Jahres 1978 nach London fönt, um dort in 146 aufwühlenden Sekunden als erstes das Herz von Radio-Legende John Peel zu erobern, ist längst als unsterblicher Boy-meets-girl-Beitrag in die Pop-Annalen eingegangen. Postpubertärer Herzschmerz, wie ihn heute und bis in alle Ewigkeit jeder 15-Jährige fühlt.
Für knapp 20 Euro bekommt man nun in knapp zweieinhalb Stunden die ganze Wahrheit über die Band hinter dem Hit: "Teenage Kicks" plus weitere 28 Songs auf der ersten CD geben einen stichhaltigen Überblick über die vier Studioalben der Band bis zu ihrer Trennung im Sommer 1983.
Auf dem zweiten Silberling kommen Fans und solche auf ihre Kosten, denen die "BBC Sessions" von 2006 noch immer nicht genügte: 27 Livetracks, Demos und Rohversionen aus dem Bandarchiv, die bislang - selbstverständlich größtenteils eine Schande - nie das Licht der Welt erblickten.
Dass der dem Zeitzeugen-Status bedenklich nahe kommende Kollege Kraus mit der Frage: "Undertones-Anthology? Ist da hoffentlich das ganze Debütalbum drauf?" voll ins Schwarze trifft, befanden coolerweise auch die Undertones, die sich nicht zu fein waren, ca. 90 Prozent ihres Megadebüts aus dem Jahr 1979 mit drauf zu nehmen.
Aber was sollte man auch weglassen? Das furiose "Jimmy Jimmy", den muskelspielenden Punkfeger "Male Model", das Drei-Riff-Monster "True Confessions" oder gar das hymnische Party-Versprechen "Here Comes The Summer"?
Auch wenn sie die langen Nachmittage ihrer Jugend ursprünglich nur mit ein wenig Sinn füllen wollten, um nicht schon um zwei mit dem Guinness-Saufen anzufangen, brachte die Truppe um Sänger Feargal Sharkey "songs about chocolate and girls" zu Papier, die sie schon bald ins Vorprogramm von The Clash spülte.
Im Preis inbegriffen ist übrigens auch ein sehenswertes Booklet mit tollen Fotos, das die Gruppe etwa als staunende Zuschauer beim Soundcheck besagter Clash auf der ersten gemeinsamen US-Tour 1979 zeigt. Oder zusammen mit den erklärten Helden Ramones, die man beim Hören des Undertones-Debüts unschwer heraushören kann.
Bassist Michael Bradley und Drummer Damien O'Neill teilen ihre Erinnerungen an diese aufregende Zeit in einem ausführlichen Anekdotenbericht mit uns, nicht ohne wichtige Details zu vernachlässigen. Etwa den "wonderfully named" Tenorsaxofonisten der "Positive Touch"-Tour Dick Blewett. Harhar.
Hier sind wir schon mitten in den Kommentaren zu den einzelnen Songs, wo man zum Beispiel das Unfassliche erfährt, dass selbst der Szenecheckerladen Stiff Records (The Damned, Madness) 1978 das Undertones-Demo ablehnte.
Die Rücksendung war allerdings nicht frei von Humor: "Sollten wir es zu lange behalten haben, entschuldigen wir uns. Sollte es das falsche Demo sein, seid nicht traurig, wahrscheinlich ist es besser als das von euch eingesandte Original."
Abgesehen von einigen für die letzten Alben eingespielten Sachen, die allzu synthetisch oder schmalzig (oder beides) daherkommen (richtig furchtbar: "Soul Seven") belegt allein die erste Scheibe die Qualität der irischen Punkheroen.
Betonen möchte ich hier noch die beiden Killerrocker "You've Got My Number" ("Why Don't You Use It?") und "My Perfect Cousin", die zusammen mit "Girls That Don't Talk" auf der Rarities-CD in roheren Punkversionen beinahe zu größerer Hochform auflaufen.
Dem "Teenage Kicks"-Demo fehlt im Vergleich zum brillianten Original einzig die gescheite Produktion - hier kann sich der damalige Demo-Verantwortliche von Stiff Records nicht rausreden.
Im "Luxury"-Demo blinken die Synthesizer, bevor man eine Spur zu viele Demos aus der unnötigen Mainstream Pop-Phase zum letzten Album "The Sin Of Pride" (1983) vorgesetzt bekommt. Dennoch: Die Leidenschaft und den Hunger der Jugend hat selten eine Band so drängend in Musik umgesetzt wie die Undertones.
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