laut.de-Kritik
Selbst Paul Weller und Johnny Marr feiern die Modgrandfathers.
Review von Giuliano BenassiAls sie 1965 in der britischen Musikszene einschlugen, waren sie so ziemlich das Böseste, was es gab. Die Beatles waren noch die netten Schwiegersöhne, die Rolling Stones zwar versaut, aber eher harmlos. Nicht so The Who: Mit "My Generation" stellten sie gleich klar, dass es ihnen um nichts Geringeres ging als einen Konflikt mit der Generation ihrer Eltern. "Hope I die before I get old", so die zentrale Aussage.
Um sie zu unterstreichen, zerdepperten sie auf der Bühne auch noch ihre Instrumente. Eine Gefahr für die Staatsgewalt also, die für die britische Version der FSK offenbar immer noch besteht, stuft sie den vorliegenden Konzertmitschnitt mit "15" ein – er darf also nur an Personen verkauft werden, die dieses Alter erreicht haben.
Vermutlich haben die Jugendschützer nicht weiter gehört als bis zum Erscheinen der Band auf der Bühne. "You're a long way, but we will fucking reach you", zeigt sich Gitarrist und Mastermind Pete Townshend beeindruckt. Natürlich ist die Einschränkung vollkommener Blödsinn. Welche Gefahr kann von zwei Herren ausgehen, die mittlerweile die 70 erreicht und es verdient haben, Legenden genannt zu werden? Instrumente zerstören sie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Außerdem: Wer unter 15 kommt überhaupt auf die Idee, sich einen Mitschnitt von The Who in ihrem 51. Tätigkeitsjahr reinzuziehen?
Wer die DVD einlegt, egal welchen Alters, wird feststellen, dass Townshend und Sänger Roger Daltrey ihr Handwerk nach wie vor hervorragend beherrschen. Eingerostet sind sie nicht, erst 2013 waren sie mit ihrer Rockpper "Quadrophenia" auf Tour, wie ein weiterer gelungener Mitschnitt dokumentiert. Townshends Lautstärkeregler bleibt auf 11, Daltreys Stimme ist gewaltig wie eh und je.
Wie schon dort nutzen sie geschickt die Möglichkeiten moderner Technologie, um die Vergangenheit sowie die verstorbenen Mitglieder Keith Moon (Schlagzeug) und John Entwistle (Bass) auf riesigen Bildschirmen einzublenden. Auch ohne sie gehört die treue Begleitband um Bassist Pino Palladino, Schlagzeuger Zakk Starkey und Gitarrist Simon Townshend zu den besten der Welt.
Zum runden Jubiläum schien im Londoner Hyde Park sogar die Sonne und bescherte Band und 65.000 Zuschauern beste Rahmenbedingungen für eine rasante zweistündige Best Of-Show, die keine Wünsche offen ließ. Zum Zuge kommen die meisten Klassiker. Neben "My Generation" auch eines der wenigen richtig coolen Lieder mit Synthie-Intro ("Baba O'Reilly"), die Ballade "Behind Blue Eyes" (die von The Who und nicht von Limp Bizkit stammt, falls sich noch jemand an die erinnert), das unkonventionelle "I Can See for Miles", die Mod-Hommage "The Kids Are Allright" und Auszüge aus ihren Rock-Opern "Tommy" und "Quadrophenia".
Die Ode an die Wichsvorlage Lily ("Pictures Of Lily")" spielen sie auf ausdrücklichen Wunsch eines Sonderfans hin: Paul Weller. Der ist bekanntlich der Modfather, während Townshend so was der Modgrandfather ist. Oder besser war, denn in Jeans und T-Shirt, wie er schon seit Jahren auftritt, hat er jeglichem Modetrend abgeschworen. Im Gegensatz zu vielen Zuschauern, die pflichtbewusst im Mod-Outfit und wettergerecht mit aufgemotzter Lambretta angereist sind.
Weller und Johnny Marr waren offenbar auch beim Konzert und zeigen sich pflichtbewusst begeistert, doch die netteste Hommage stammt von Iggy Pop, der im Abspann am Rande eines Pools, vermutlich in Florida, eine Überraschung bereit hält.
Wie gewohnt ein qualitativ hervorragend dokumentierter und gelungener Auftritt, der sich in die lange Liste dokumentierter und gelungener Auftritte von The Who einreiht. Mit dieser Veröffentlichung steht es 11:13 Studioalben vs. offizielle Livemitschnitte. Die schwierige Entscheidung liegt dennoch weniger im ob als im was – erhältlich ist "Live In Hyde Park" als DVD, Blu-ray, CD, Vinyl und in verschiedenen Format-Kombinationen. Natürlich auch als limitierte Deluxe-Ausgabe mit Begleitbuch.
Die deutschen Behörden schätzen das Gefahrenpotential von The Who übrigens realistischer ein als ihr britisches Pendant: Hierzulande gilt FSK 0.
2 Kommentare
großartig! ...mit "love reign o'er me" haben sie ja auch nebenbei überhaupt einen der besten songs aller zeiten in ppetto. beeindruckend, wie daltrey das stimmlich noch bringt.
Eispruch, euer Ehren! Für den Fan ein durchaus okayer Schwanengesang, aber auch die klare Aufforderung es langsam gut sein zu lassen... Die Band knallt noch ordentlich, aber sorry: Rogers Stimme = gewaltig? Er muss pressen wie blöde und schrammt häufiger nur sehr knapp an der Peinlichkeit vorbei, da hör ich lieber "live at the Royal Albert Hall", da muss er nach ner langer Tour auch schon kämpfen, aber insgesamt rammen die Jungs da mit ihren Gästen alles in den Boden, was sich einbildet, zu wissen, was Rock'n'Roll bedeutet.