laut.de-Kritik
Wütend und nach vorne gerichtet wie lange nicht mehr.
Review von Toni HennigThe Young Gods verschrieben sich vor drei Jahren auf "Play Terry Riley In C" minimalistischen und avantgardistischen Klängen. Doch anstatt weiter in kunstvoll sperrige Gefilde vorzustoßen, gehen die Schweizer nun auf "Appear Disappear" den umgekehrten Weg. "Etwas Rohes" sollte her, verriet Sänger und Gitarrist Franz Treichler im Vorfeld. Angetrieben von Drohnenkriegen, Computerüberwachung, politischen Aufständen, der Situation im Gazastreifen und persönlichem Verlust, kehren die Industrial-Götter wieder mehr zum harten Sound ihres 1992er-Kultalbums "T.V. Sky" zurück, das ihnen endgültig den Durchbruch in der Szene verschafft hatte und Bands wie Nine Inch Nails nachhaltig beeinflusste.
So treibt das Titelstück düster und maschinell nach vorne. Dabei hält Treichler mit seiner einnehmenden, geradezu sanften und gefassten Stimme das rockig tanzbare Grundgerüst zusammen. Noch mehr in die Offensive geht das von kraftvollen Drums, wirbelnden Industrial Rock-Gitarren, düsteren Spoken Words und elektronischen Spielereien geprägte "Systemized". "Blue Me Away", das der Sänger seiner vor zwei Jahren verstorbenen Frau Heleen widmet, bildet keineswegs eine melancholische Trauerveranstaltung. Vielmehr baut sich der Track immer wieder emotional auf, um sich danach explosiv zu entladen.
Mehr die trippigen und ambienten Qualitäten ihres 1995er-Albums "Only Heaven" betont die Band im gänzlich auf Französisch gehaltenen "Hey Amour". Trotzdem fegen unaufhörlich verzerrte Saitentöne unruhig durchs Klangbild. Nicht weniger eindringlich gestaltet sich "Blackwater", das zwar elektronisch verspielter wirkt, aber immer wieder mit wütenden Gewaltausbrüchen aufwartet. Übrigens bezieht sich der Songtitel auf eine chinesische Aktivistin, die an der Regenschirmrevolution in Hongkong beteiligt gewesen war, um die Bewegungen der Polizei zu kartografieren. Es geht also darum, wie man die Werkzeuge des Widerstandes friedlich zu seinem eigenen Vorteil nutzen kann.
Eine gewisse Wut zieht sich auch durch das wieder gänzlich auf Französisch gesungene "Tu En Ami Du Temps", das mit seinen glitchigen und klackernden, an Nine Inch Nails nach der Jahrtausendwende erinnernden Klängen jedoch einen etwas minimalistischeren und spröderen Aufbau besitzt. Eine kurze Verschnaufpause verschafft das von luftigen Gitarrensounds, zeitlupenartigen Schlagzeugtönen und psychedelischem Gesang geprägte "Intertidal".
Im geradlinigen "Mes Yeux De Temps", dem letzten Song auf Französisch, treffen muskulöse, EBM-artige Beats auf verführerisch chansonesque, halb geflüsterte Vocals. "Shine That Drone" wartet mit einem repetitiven Grundgerüst auf, so dass der packende, nach und nach an Dringlichkeit gewinnende Gesang Treichlers im Zentrum steht. Mit "Off The Radar" endet die Platte experimentell und ambient.
Letzten Endes klingt "Appear Disappear", als hätten The Young Gods die besten Elemente aus sämtlichen Schaffensphasen genommen und zu etwas verbunden, das frisch und nach vorne gerichtet klingt und von Solidarität und einem friedlichen gemeinsamen Miteinander kündet. In Zeiten zunehmender politischer Spannungen und Krisen braucht es eine Band wie die Schweizer mehr denn je.
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