laut.de-Kritik

Very Easy-Listening verwurstet bekannte 80er-Melodien.

Review von

"Und Alle Hab'n Geklatscht", trällert Tom Gaebel, und meint damit seine eigenen Auftritte. Bisher ging es in seiner Laufbahn tendenziell um ihn als Dienstleister und um Erfolg in deutschen Breitengraden. Der Big Band-affine Sänger gehört zur sogenannten Generation Y, und er feierte seinen fünfzigsten Geburtstag. Doch nicht allzu viele seiner Peers dürften mit Swing sozialisiert worden sein, als er Teenager war, standen Queen und Beatles hoch im Kurs.

Wie und warum es bei Tom so kam, und weshalb seine Musikkarriere gleichzeitig alles für ihn bedeutet, das soll sein neues Album "Kleiner Junge - Große Reise" erläutern. Es ist ein - Achtung - autobiographisches, persönliches Werk. Sagt der Pressetext. "Ach, was in Pressetexten immer drinsteht ... Alle meine Alben fühlen sich persönlich für mich an", entgegnete uns Gaebel schon anlässlich eines anderen Albums vor ein paar Jahren. Dieses Mal geht es also um Beweggründe, Charakterzüge und Stationen im Lebenslauf, selektiv zumindest.

Gaebel hatte Glück und stieß von der ersten Show an auf die Gunst des Publikums - und zwar als Sänger, nicht aber als "Der Posaunist", wie wir erfahren. Weshalb Gaebel seine Erinnerung an den initialen Applaus-Regen in die Melodie des Maggie Reilly-Gassenhauers "Everytime We Touch" kleidet, bleibt unklar. Dieser etwas seltsame Kunstgriff bietet einen großen Vorteil: Tom führt weg von Swing-Schablonen, hin zu beschwingtem Rockpop.

Die Umsetzung quietscht derweil oft wie ein schlecht geöltes Tür-Scharnier. In "Mittendrin Statt Nur Dabei" reichert Tom seinen Swing-Pop mit einem Schuss Gypsy-Polka an. "Das Beste" vereint John Barry-Filmmusik-Vibes mit flachem Electro und Schmetter-Schlager. Er inszeniert den Tune als Dankeshymne an sein Publikum, schweift melodramatisch in die Vergangenheit aus, fordert "Lasst euch umarmen", kreischt "ein letztes Mal" und formuliert "ihr wart das Beste für mich und mehr". Er suggeriert schon jetzt seine Abschiedstournee und erfleht schlussendlich zu einem mies gespielten Prog-Riff ein Wiedersehen.

Ähnliche Maßnahmen zum wilden Verbraten allseits verbreiteter 80er-Jahre-Nummern legen nicht ganz so heftig die Ohrmuscheln in Falten, erfordern aber ebenfalls Toleranz. Aus dem schier unkaputtbaren "The Greatest Love Of All" entspinnt Gaebel "Wenn Der Letzte Vorhang Fällt". Laut Songtext erstickt der fallende Vorhang die Show-Zugabe, derweil dämpfen hier die Geigen und die allzu fortissimo dargebotenen Vocals alles andere. Die Botschaft der Nummer vermittelt sich durchaus: In zahllosen Städten aufzutreten fühlt sich mehr oder weniger doch jedes Mal gleich an. Das Publikum bleibt überall einigermaßen anonym, ebenso bleiben es die Hotelzimmer, in denen es an Zeit fürs Intimleben mangelt. Der nomadische Tour-Alltag bietet mehr Einsamkeit als Glanz auf. Doch musste das Album diese trostlose Wendung nehmen?

Madonnas "Material Girl" landet mit überraschender Treffsicherheit auf Toms Playliste und verwandelt sich ins deutschsprachige "Als Ob Die Welt Uns Gehört". "Up Where We Belong", der Duett-Hit von Joe Cocker mit Jennifer Warnes, fließt partiell in "Wo Du Jetzt Wohnst" ein. Diese deutschsprachigen Cover mit neuen Textinhalten und überraschenden Arrangements fallen nicht so ganz schlecht aus. Es drängt sich aber die Frage auf, wieso Tom sich nicht noch irgendwas Schmissiges von Sting quasi als Swing-Sting oder "Owner Of A Lonely Heart" von Yes einverleibte, das hätte hier noch hinein gepasst. War Maggie Reilly jüngst mit der Cutting Crew auf Deutschland-Reise, ist auch deren "(I Just) Died In Your Arms" hier schnell zur Stelle. Immerhin: "Vorbei Ist Unsere Zeit" mit knackigen Saxophon-Konturen verleiht unter Verzicht aufs Acapella-Intro dem alten Schinken glatt einen neuen Anstrich, dank dessen man die Cutting Crew erst aufs dritte Hören dahinter erkennt.

"So Wie Du" stellt eine subtile Abwandlung von "Only You" dar, das erst Yazoo schufen und dann die Flying Pickets zum Hit machten. Wie auch vieles andere hier, textet Tom (gezielt) kindlich, beschreibt die Perspektive des Knirpses aus Schulzeiten. "Ich seh mich auf dem Schulhof steh'n, den Kopf voll wirrer Ideen." - Über den Einstieg ins Bühnenleben befindet Tom an anderer Stelle: "Es schien mir so leicht, als ob ich fliegen kann." Der Glaube an die eigene Flugkraft zieht sich durch und resümiert in der Erkenntnis und relativen Binse: "Was damals begann, trägt mich durch die Zeit." So ist es ja meistens im Gefolge von Ursachen und Wirkungen, dass erst der Anfang, dann die Fortsetzung kommt. Aber nett, dass er das noch mal ausdrücklich betont. Die Selbstzufriedenheit, gepaart mit einem gelegentlichen Blick auf die Welt durch die Augen eines zirka Achtjährigen machen es nicht immer hilfreich, Gaebels Geschichte spannend zu finden.

In erschreckender Ehrlichkeit wird jedenfalls eines immer wieder deutlich: Der infantile Wunsch nach Berühmtheit und Reichtum und die Sehnsucht des Teenagers nach Erfolg bei Frauen zeichneten maßgeblich Gaebels Weg in den Jazz vor. "Nur was genau - Gitarre und Flöte und Saxophon, Klavier und Trompete? - doch entschied (...) mich geradewegs für die Posaune. Posaune spielen ist gar nicht so schwer: Du pustest rein - und mit der Hand hin und her. Doch damit fangen viele Probleme erst an."

Tom war zunächst mal gar nicht Sänger und erst recht nicht Big Band-Crooner, sondern probierte sich am Blasinstrumemt aus. Hier war die Resonanz zwar abwertend, doch blieb der Ruhrpottler dem Stück Blech lange Zeit über treu. "Der erste Gig und ich ganz der Coole: Ich lud sie ein, die Schönste der Schule / der Vorhang fällt - sie sieht die Posaune, da war's vorbei mit der guten Laune / ich hatte einfach diesen Punkt nicht bedacht - der Posaunist wird gern mal verlacht - so war mein Ruf dauerhaft ruiniert / doch wer nichts hat, hat nichts zu verlieren / da kann man auch gleich Jazz studieren."

Das tat Tom in Amsterdam, von NRW aus nah erreichbar. Doch die Tröte überdauerte die Konservatoriums-Ausbildung nicht. "Das Schicksal hat mir 'nen Nagel geschenkt / daran hab ich die Posaune gehängt", flötet der Kalauer-Freund, dessen Texte mitunter so wirken wie aus einem Heinz Erhardt-Gedichtband. Immerhin, zur leichten Muse des Swing als Soundtrack der Kriegs- und Nachkriegszeit passt Erhardts Sprachregister dann wieder. Wie wichtig Gaebel der Switch in die Sänger-Rolle und die gleichzeitige Wertschätzung für die Brass-Fraktion ist, bringt er durch eine ordentliche Steigerung an Lautstärke und Intensität in der Nummer noch klar zum Ausdruck.

38 Auftritte lang wird der "kleine" Ibbenbürener Junge und heutige Wahl-Kölner seine Lebensgeschichte live zum Besten geben, einmal in der Release-Woche und dann 37 Mal in einem sehr dicht gestrickten Tournee-Plan im nächsten Winter und Frühling. Bis dahin taugt die Scheibe womöglich als belanglose Beschallung von Grillfesten, Abenden in Balkonien oder bei einem Gläschen Wein auf der Terrasse; zu den meisten anderen Getränken passt die Musik gefühlt nicht allzu gut.

Das mag an der Konstruiertheit und Unnahbarkeit liegen, die Tom Gaebel bei aller Figurenzeichnung als "Kleiner Junge" nicht abschüttelt. So spart er zwischen Kindheit, Gymnasium, Studium einerseits und dann der Jetztzeit andererseits ganze 20 Jahre aus, in denen anscheinend keine Entwicklung mehr stattgefunden haben soll oder wir glauben gemacht werden, dass nichts Erzählenswertes passiert sein mag. Anekdoten aus der Backstage-Welt müsste es doch mindestens geben, bei einem, der Montreux und viele hochkarätige Events der Szene abgeklappert hat und die Fernseh-Welt von innen erlebte. Und selbst die Schulzeit kommt arg verknappt rüber. Wesentliches fehlt, etwa wie Teenie Tom Hand an Geige und Drum-Set anlegte. "Eigentlich wollte ich Rockschlagzeuger werden, das war mein Jugendtraum. Mit 14 habe ich angefangen Schlagzeug zu lernen. (...) In einer Witzrockband war ich auch mal", sagte er 2018 im Interview.

Neben der lyrischen zeigt sich auch die musikalische Ebene bei mittelklassiger schöpferischer Leistung. Gleichfalls bewegt sich der Unterhaltungsfaktor im Mittelfeld einer nach oben noch viel Luft lassenden Skala. Die fortwährende Referenz auf Smash-Hits der Jahre 1982 bis '84 (Gaebels Grundschulzeit) wirkt ungelenk eingefädelt und degradiert das Werk zu einer anspruchslosen Retorten-Party nach dem Motto 'Alexa, berechne mir ein Mash-Up!' - Stimmung fürs Anschneiden von Toms Geburtstagstorte kommt hingegen weniger auf. Dazu verschwimmt das Ganze auf Dauer zu arg in indifferenter Muzak.

Ohne Feature-Gäste - wie es sie zuletzt bei der Weihnachts-CD noch gab - setzen die Lead-Vocals auch nicht genügend Anreize, um ein wirkliches Hinhör-Event zu schaffen. Die Band spielt freilich famos, da kann man nicht meckern, jedoch soft tropfend gemastert. So oder so, die Liebe zur Musik und speziell für Frank Sinatras Œuvre spürt man sogar in den schwächsten Tracks. Gaebel traut sich mehr Pop zu, als es Michael Bublé je wagte. Das dürfte aber nach Kollabos mit Leuten aus den Segmenten Hip Hop, Chillout und Malle-Schlager keine neuen Fan-Massen mehr hinterm Ofen hervor locken. Unterm Strich löst er sein eigenes Thema von der "großen Reise" kaum ein, die ihn ja geographisch in Wirklichkeit vor allem in nordrhein-westfälische TV- und Tonstudios führte. Fazit: Ganz nett. Solange man nicht allzu genau hinhört.

Trackliste

  1. 1. Und Alle Hab'n Geklatscht
  2. 2. Vorbei Ist Unsere Zeit
  3. 3. So Wie Du
  4. 4. Ich Weiß Doch Eigentlich
  5. 5. Wo Du Jetzt Wohnst
  6. 6. Der Posaunist
  7. 7. Als Ob Die Welt Uns Gehört
  8. 8. So Waren Wir
  9. 9. Mittendrin Statt Nur Dabei
  10. 10. Das Beste
  11. 11. Dieser Eine Sommer
  12. 12. Wenn Der Letzte Vorhang Fällt

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