laut.de-Kritik
Wut und Trauer bedeuten nicht das Ende.
Review von Holger GrevenbrockTricky war immer eine Garantie für Songs, die auf eine Art frisch und ungehört klingen. Der eigene idiosynkratische Sound steht für den Musiker aus Bristol an erster Stelle. Mit "Maxinquaye", der ersten eigenen LP nach seiner Zeit mit Massive Attack, deutete sich 1995 kurz eine Realität an, in der Tricky zum Superstar aufsteigt. Es ist anders gekommen.
Die richtigen Worte fand der leider schon verstorbene Popkritiker Mark Fisher in seiner lesenswerten Zeitdiagnose "Ghosts Of My Life": "Tricky sollte sich davonschleichen, um der Verkünder einer zukünftigen britischen Popmusik zu werden, die für immer ein Versprechen bleiben sollte." Seitdem dreht Tricky seine eigenen Kreise und versucht so gut es geht, die Erwartungen seiner Hörer und Kritiker zu unterwandern.
Dabei sind es nicht allein die ungewöhnlichen Song-Strukturen und das Experimentieren mit Lautstärke und Rhythmik, die der Eingängigkeit entgegenarbeiten, auch die häufig dunklen Lyrics tragen ihren Teil dazu bei. Zu direkt, zu roh sind die Beobachtungen und Reflexionen, mit denen uns ein Song wie "Hate This Pain" konfrontiert: "I miss my baby while I fly / In my head, I want to die." Der Verlust seiner Tochter ist auf "Fall To Pieces" allgegenwärtig, Mina Mazy Topley-Bird nahm sich kurz nach dem Beginn der Produktion das Leben. Das weckt unweigerlich Erinnerungen an den Anfang seiner Karriere als Solo-Artist. Das erwähnte Meilenstein-Debüt "Maxinquaye" ist nach der Mutter benannt, die sich ebenfalls das Leben nahm, als Tricky gerade vier Jahre alt war.
Vor diesem Hintergrund ist es fast unglaublich, dass "Fall To Pieces" einige vorsichtig optimistische Tracks bereithält. Als Momentaufnahmen erinnern sie an Gedichte und vermitteln Stimmungen, die zwischen Trauer, Trotz und Optimismus hin- und herwandern. "Don't let it get you down", wiederholt Tricky auf "Close Now" und fügt der Trauer ein kämpferisches Moment hinzu. "I'm In The Doorway" überzeugt aufgrund des ätherischen Gesangs der Dänin Oh Land und stiftet mit zarten Piano-Klängen Hoffnung, die das dazugehörige Video schon wieder unterwandert. Und "Thinking Of" leitet das Album mit den vielsagenden Worten "I'm thinking, it's gonna work now" ein.
Als Mann weniger Worte, mal geflüstert, mal gezischt, transportiert Tricky ambivalente Gefühle, die ohne Umwege ihr Ziel erreichen. Das Tolle dabei ist, dass man nie so richtig weiß, wer da gerade ins Mikro raunt. So entsteht bei einem Track wie "I Hate This Pain" auch nicht der Eindruck, dass sich hier der Künstler selbst mit dem Gesagten identifiziert. Vielmehr geht er auf Distanz und umkreist die Texte wie ein neugieriger Fremder. Da verwundert es kaum, dass sein Vortrag mehrmals ins Fragende kippt.
Unter seinen Gästen ist Marta, die schon auf Trickys vorangegangener EP "20,20" zur Seite stand. Ihre Stimme bringt das nötige Gleichgewicht in die Kompositionen. Während Mr. Thaws im Dreck wühlt, schwebt sie über den Dingen. Kühl und irritierend teilnahmslos bildet sie mit ihm ein Duo infernale, dem man nur ungern bei Nacht begegnen will.
Dass er die eigenen Worte von fremden, meist weiblichen Stimmen sprechen lässt, zeichnet sein Schaffen seit den Anfängen aus und deckt sich mit der Figur Tricky, die Geschlechterzuschreibungen permanent unterwandert. Stets betont er, während seiner Kindheit und Jugend in Bristol von starken Frauen umgeben gewesen zu sein, während die Männer in der Familie auf der Straße herumlungerten oder ihre Strafe im Gefängnis absaßen.
Insgesamt lässt sich sagen, dass "Fall To Pieces" kein durchdachtes Album ist, das ein kohärentes Ganzes abbildet. Viele Songs überschreiten kaum die Dauer von zweieinhalb Minuten, die Instrumentierung ist auf das Nötigste beschränkt. Der fragmentarische Zustand des Albums erweist sich als die passende Form, um einen noch andauernden Prozess einzufangen und zu verarbeiten.
Aus rein künstlerischer Perspektive ist "Fall To Pieces" vor allem deswegen spannend, weil Tricky verschiedene Perspektiven einfängt. Der Optimismus, der hie und dort in den Produktionen durchscheint, erscheint trügerisch und prekär, während die Wut und Verzweiflung in Songs wie "Hate This Pain" nicht das Ende bedeuten. Dieser Mut zur Ambivalenz verhindert, dass die Arbeit mit der eigenen Trauer ins Eindimensionale kippt.
3 Kommentare
Also was mich betrifft, holt mich schon der erste, im Grunde sehr simple, Track ab. Das lässt doch hoffen.
Kann man sich anhören. Tut nicht lange weh. 28 Minuten und 28 Sekunden lang. Mir sind die Songs zu kurz geraten. Album ist durchgelaufen, ohne dass irgendein Song nachhaltig in Erinnerung geblieben wäre. 3/5
Die Sounds sind düster und groovy. Aber die Gesangsstimme nervt , ich hätte mir mehr Tricky gewünscht. Album geht okay. False Idol war definitv sein bestes letztes Werk. 3/5