laut.de-Kritik
Hemdsärmelig und trotzdem viel zu bieder.
Review von Philipp KauseUB 40 haben schon bessere Alben gemacht. Dass es sich hierbei überhaupt um ein Album handelt, kann man aber auch bestreiten. 'Hybrid' oder 'eine Kombi aus mehreren Riddim-EPs' treffen es besser. Die britische Reggae-Gruppe kletterte Anfang der 90er neben anderen Musikprojekten mit Zahlen im Namen (U96, K2, Altern 8) an den Gipfeln der Charts herum.
Da Sänger Duncan Campbell aus gesundheitlichen Gründen kürzer trat und mittlerweile die Band verlassen hat, ging man in den vergangenen Jahren zum Engagement zahlreicher Gastsänger über. Nun verkauft die Band alles als Riddim-Compilation. Ein Riddim ist gemeinhin ein Gemeinschaftsprojekt, also irgendwer produziert die Beats. Eine gemasterte Tonspur enthält meist Schlagzeug, Bass, Keyboards und ein paar Effekte, manchmal Gitarre und Saxophon, und wird dann an ganz viele Sänger*innen durchgereicht. Derlei Riddims findet man hier sieben Stück.
Auf "Bigga Baggariddim" treten Leute aus England, Neuseeland und Indien auf, plus Jamaikaner, die als Propheten im eigenen Lande nicht viel gelten. Mit dabei: Leno Banton, der den besten Beitrag abliefert, ein R'n'B-affiner Dauer-Newcomer mit sehr guter Stimme. Dann Matt von Birminghams Reggae-Gruppe Kioko - er wird neuer Leadsänger bei UB 40 -, und interessanter Weise Inner Circle. Die werden auf der halben Welt noch gerne gebucht, wie man an ihrer 50 Jahre-Jubiläumstour 2019 sehen konnte. Veröffentlicht haben die Jamaikaner schon lange nichts Neues, und "Rebel Love" verflacht leider nach den ersten vielversprechenden Takten.
Um Tippa Irie ist es seit einem Feature bei The Bug still geworden, hier erlebt man ihn nun auf einer dubbigen Produktion - solide, aber lau. Blvk H3ro veredelt mit seinem Soul-Falsett gleich drei Stücke.
House Of Shem standen vor geraumer Zeit an der Spitze der neuseeländischen Charts, sind aber weitaus weniger exportfähig als Fat Freddy's Drop. Sie tendieren zu seifigem Kastraten-Gesang. Winston Francis lernte bei Coxsone Dodd einst Rocksteady aufzunehmen - overqualified für das hier. Von allen weiteren Mikrofonhelden hat die Rasta-Welt, abseits des absoluten Undergrounds, never ever gehört. Man möge hoffen, dass dies so bleibt. Slinger ist laut seinem Twitter-Profil seit immerhin über 40 Jahren aktiv und zählt 36 Follower, also ungefähr so viele Leute, wie an dem Album mitgewerkelt haben.
Blvk H3ro fragt, wie es den Bitterarmen gehe, wer sich um die kümmere: "What Happened To The Have-Nots?", einzige Stelle mit Referenz auf die Sozialchroniken der Al- & Astro-Jahre der Gruppe, und in dieser Nummer harmoniert der Pudding-Sound der Briten ausnahmsweise mit den Vocals. So richtig klappt das auf der Langstrecke von fast 60 Minuten aber sonst nicht. Der identische Unterleger greift für vier weitere Nummern, wobei sich bei den dreien mit Slinger, Tippa Irie und Winston Francis wenig regt. Keine Ahnung, was diese in 08/15-Stil runtergerissenen Silbenkaskaden einem sagen sollen. Die 'Wir-überlassen-alles-ganz-wurschtig-dem-Zufall'-Ausstrahlung wirkt hemdsärmelig, aber nach ein paar Minuten langweilig.
Anspieltipp ist auf demselben Musikbett "Show And Prove". Leno Bantons nachdrückliche Näsel-Stimme gibt dem Tischtennis-Beat, den Triangel-ähnlichen Keyboards und den soulig-sportlich gespielten Saxophonen plötzlich einen Wert, lässt sie spannend klingen. Er macht mehr als das übliche "Ich-hab-dich-so-lieb-wir-sehen-uns-bald"-Gezwitscher, das das halbe Album zukitscht. Leno balanciert cool im Grenzgebiet zwischen Dancehall-Toasting, R'n'B/Neo-Soul und Roots-Texten. Er ruft zum "Reality Check" auf, hinterfragt das Sein hinter dem digitalen Schein. Für jeden noch so kleinen Handgriff müssen wir connected sein, machst du auf lautlos, hast du schon verloren, "if you snooze, you lose".
Die vielen simplen Liebestexte dagegen könnte man, wenn die Musik eine Spur romantisch anmuten würde, als endlich-mal-wieder-neuen-Lovers-Rock loben. So trocken, wie sie jedoch daherkommen, erwecken sie einen arg biederen Eindruck. Auch die Expressivität der Vocals und Toastings lässt viel Luft nach oben. "Roots Rock Reggae" beschwört eine stilistische Rückwärtsbewegung zum Early Reggae John Holts, trieft textlich aber so sehr vor Idylle angesichts des "Sweet Jamaica", als wäre das Lied vom dortigen Tourismusministerium beauftragt.
Manche Tracks lassen sich gar nicht richtig beurteilen, "Gravy Train Is Coming" hat so eine verwaschene Tonqualität, dass ich mich beim Hören anstrengen muss, um den Gesang zu verstehen und einen Bass wahrzunehmen. Vermutlich im File-Transfer zwischen den Kontinenten x-Mal in mp4a und ähnliche Formate komprimiert, zig Mal kaputt-konvertiert.
Ein bisschen klapprig klang der Sound von UB 40 immer. Was nun völlig fehlt, ist irgendetwas, das ans Herz geht, so wie beispielsweise "Guns In The Ghetto". Berührend im UB 40-Kontext ist der Tod ihres Saxophonspielers und Arrangeurs Brian Travers. Das Gründungsmitglied kann man auf "Bigga Baggariddim" an ein paar Stellen hören. Danke, Brian, für das "Kingston Town"-Intro auf dem Nuvo Dood (eine Kunststoff-Klarinette), und danke für die schönen Unterwasser-Sounds auf manchen früheren Platten.
1 Kommentar
Durchweg gut hörbar, aber die vielfache Verwertung der immer gleichen Riddims ist (in dem Fall) auf Albumlänge schon anstrengend.