laut.de-Kritik

Van Morrison hat wieder Besseres zu tun.

Review von

Van Morrison ist das Paradebeispiel für die bittere Wahrheit hinter der Floskel: Triff niemals deine Helden. In den vergangenen Jahren war es weniger das Genie, das bei ihm durchschien, als vielmehr der Wahnsinn. Und treffen muss man seine Helden dank sozialer Medien leider auch nicht mehr, um zu hören, was die so verzapfen. Während der Pandemie verlor sich der einstige Blues-Rock-Großmeister von Them in politischen Irrfahrten und Verschwörungsmonologen – leider nicht nur zwischen den Zeilen. Kaum jemand konnte sich noch hinter schlechtem Englisch wegducken und so tun, als verstünde man nicht, was da abgeht.

Doch das ist jetzt, zum Glück, Vergangenheit. Die Lockdowns sind Geschichte, und mit ihnen scheint auch Morrisons Wut verraucht. "Remembering Now" verzichtet weitgehend auf politische Botschaften – zumindest auf die offensichtlichen – und konzentriert sich wieder auf das, was Van Morrison einst zum Fixstern des Soul- und Folk-Firmaments machte: seine Musik.

Eine Entschuldigung für seine Ausflüge in politische Parallelwelten liefert Morrison nicht. Aber gut, dann vergeben wir ihm eben ungefragt – und nehmen das neue Album als Friedensangebot an. Was bleibt bei diesen Klängen auch anderes übrig? "Remembering Now" ist kein großes Statement. Es ist ein ehrliches, musikalisch versiertes Alterswerk – mit 14 Songs zwischen gemäßigtem Blues, souligen Ausflügen und jazzigen Anklängen. Folk-Momente blitzen hier und da durch. Die Produktion ist warm, organisch und voller Respekt vor dem Handwerk.

Der Opener "Down To Joy" ist gleich ein kleines Klanggewitter. Hammondorgel, Klavier, Bass, Drums, Streicher, Bläser – ein halbes Orchester, doch nie wirkt das Arrangement überladen. Alles dreht sich um Morrisons Stimme, diesen unnachahmlichen, bluesigen Erzählergesang, der auch mit fast 80 noch eine Wucht ist. "If It Wasn't For Ray" ist eine liebevolle Hommage an Ray Charles. Keine Politik, keine Clapton-Kumpanei, kein Groll – nur Musikliebe.

"Haven't Lost My Sense Of Wonder" wirkt wie eine melancholische Selbstvergewisserung, getragen von Orgel und Klavier. In "Love, Lover And Beloved", "The Only Love I Ever Need Is Yours" und "Back To Writing Love Songs" kehrt Morrison zu dem zurück, was er immer am besten konnte: Sehnsucht in Töne gießen. "Cutting Corners" flirtet mit Country, "Stomping Ground" bleibt fast schwebend zart, während das neunminütige "Stretching Out" das Album ruhig und ausgedehnt zu einem würdigen Ende führt – ohne Längen, ohne Eile.

Ein Highlight bleibt "When The Rains Came", das sich thematisch an den ewigen Morrison-Klassiker "Brown Eyed Girl" anlehnt. Nur eben nicht nostalgisch verklärt, sondern in melancholischeren Klangfarben: mit gleichmäßig schabenden Rasseln, stoischen Drums und sechseinhalb Minuten gelebter Innerlichkeit.

"Remembering Now" ist kein Meisterwerk, aber es ist das Werk eines Meisters – und das hört man. Es ist ein reifes, rundes Album, das niemandem etwas beweisen will. Es überrascht nicht, doch genau das ist sein Charme. Ein Album für all jene, die Van Morrison während seiner pandemischen Irrwege vermisst haben – und nun wiederfinden. In ehrlichem Soul. In ehrlichem Blues. In ehrlicher Musik zum Träumen.

Trackliste

  1. 1. Down To Joy
  2. 2. If It Wasn't For Ray
  3. 3. Haven't Lost My Sense Of Wonder
  4. 4. Love, Lover And Beloved
  5. 5. Cutting Corners
  6. 6. Back To Writing Love Songs
  7. 7. The Only Love I Ever Need Is Yours
  8. 8. Once In A Lifetime Feelings
  9. 9. Stomping Ground
  10. 10. Memories And Visions
  11. 11. When The Rains Came
  12. 12. Colourblind
  13. 13. Remembering Now
  14. 14. Stretching Out

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