laut.de-Kritik
Ortskundige Führung durch den deutschen House-Heimathafen.
Review von Christoph DornerDie Transformation vom physischen zum digitalen Musikmarkt läuft zwar stotternd, dennoch schreitet sie langsam aber sicher voran. Gerade die Szene für elektronische Musik verabschiedet sich als eine Art Vorreiter gegenwärtig vom wenig Sexappeal verströmenden Format der CD, Tracks werden zumeist auf Vinyl oder als MP3- und Flac-Dateien gekauft. Auch die vorliegende Compilation des Hamburger Labels Hafendisko erscheint nur als digitales Album – und das ergibt absolut Sinn.
Denn auf eine CD hätte schlicht und ergreifend nur die Hälfte der Tracks dieses Labels-Joint-Ventures gepasst. Außerdem soll "Hamburg Elektronisch Vol. 01 - Von House Zu House" in erster Linie Ortunkundige mit der seit Jahr und Tag unheimlich vitalen House-Szene der Hansestadt bekannt machen. An Clubs gibt es hier das Übel & Gefährlich, den Baalsaal, das Ego und natürlich den irren Golden Pudel Club - alle sind in Fußnähe vom Moloch Reeperbahn aus zu erreichen. Viel wichtiger allerdings: In Hamburg haben unter anderem die Labels Dial, Smallville, Pampa, Dérive und Mirau ihren Sitz.
Diese Zusammenstellung dokumentiert eindrucksvoll: Hamburg mag gegenwärtig nicht die Feierhauptstadt sein, dafür aber sehr wohl der wichtigste deutsche Heimathafen für Produzenten von House. Bis auf drei exklusive (und okay gehende) Tracks von Soukie & Windish, Kruse & Nürnberg und den lässigen Tausendsassas von Wareika sind die vorliegenden 20 Tracks bereits in den letzten Monaten, gar Jahren erschienen – ihrer Klasse tut das keinen Abbruch.
DJ Koze, der zweifelsohne größte Name auf der Compilation, stiftet mit dem ätherischen Piano-Loop von "Blume der Nacht" einen eher werkstättischen Track seiner ersten Single für sein Label Pampa Records. Auch Lawrence hat mit "Just Like Heaven" eine A-Seite von der Single "Sorry Sun" spendiert, die im Frühjahr bei Smallville erschienen ist. Der feinfühlige Deep-House-Track kommt mit straightem Hi-Hat-Beat, verträumter Pianofigur und anschwellenden Streichern.
Tensnake, mit seinem Disco-Revival seit zwei Jahren in aller Munde, hat mit "Congolal" gar einen 80er-schwangeren Synthie-Track aus dem Jahr 2008 ausgegraben, über den eigentlich nur noch Andy Taylor von Duran Duran singen müsste. Auch weitere Szenegrößen wie Isolee, Solomun, Stimming und Extrawelt sind mit flirrenden, verspielten House-Tracks vertreten, auf denen Stimmungen und leger groovendes Understatement stets über bolzende Konditionierungsmechanismen obsiegen.
Richtig interessant wird es aber erst im Mittelbau dieser Compilation. Hier ist mit "Hamburg Is For Lovers" von David August nicht nur eine veritable Techhouse-Hymne versteckt, auch die Tracks von Christopher Rau, Smallpeople, Vincenzo und der schwärmerische Einstieg mit DJ Phono sowie "Schwindelig" vom Kollektiv Turmstrasse sind großartig. Letzterer endet mit Gesprächsfetzen in tiefem Hamburger Platt: "Ich wurde letztens mal gesichtet, vor zwei Monaten, auf dem Kiez irgendwo: splitternackt, nur in Unterhose und Stöckelschuhe. Zwei Weiber im Arm." Auch so ist Hamburg natürlich.
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