laut.de-Kritik
Der Grime-Gründervater unterstreicht seinen Anspruch.
Review von Dani FrommSoul, Funk, Ska, Rap, Metal: Jedes Genre hat seinen Paten. Wie über nahezu alle musikalischen Geschmacksfragen lässt sich über die Berechtigung, mit der die jeweils Auserkorenen den ihnen aufgedrückten Beinamen "Godfather of Wasauchimmer" tragen, hervorragend streiten. Was Grime betrifft, dürfte dagegen ungewohnte Einigkeit herrschen: Wenn überhaupt jemand dieses stinkwütend brüllende Baby, das Ende der 90er irgendwo in Londons dreckigen Kellern das Licht der Welt erblickt hat, übers Taufbecken halten darf, dann Wiley.
Dass das jeder weiß, hindert ihn nicht daran, seinen Anspruch auf den Titel "Godfather" zu formulieren, zwei Dutzend Mal zu betonen und ihn dann noch dick zu unterstreichen. Doppelt, und dann nochmal. Inhaltlich, es lässt sich kaum schönreden, steckt viel mehr nicht drin: Wiley hats (zumindest mit-)erfunden, er kanns entsprechend am besten.
Einzig "U Were Always Pt. 2", die Fortsetzung eines Tracks aus dem Jahr 2009, bricht thematisch aus. Wiley handelt hier zusammen mit Boss Belly und Skepta ein nicht gerade reibungsloses Beziehungsgefüge ab, in dem keiner der Beteiligten so recht auf seine Kosten kommt.
Ansonsten meldet sich der Grime-Gründervater, zweifellos längst "Name Brand", "Back With A Banger" und liest eine Messe für den "Holy Grime". Ein kleines Gebet richtet er darüber hinaus an die Maschine, die all das möglich macht: seinen "Laptop". "I can do it, I don't need to try", weiß Wiley. "I can do it, I done it already." Man könnte es ihm fast als lahmes Auf-über-die-Jahre-erwirtschafteten-Lorbeeren-Ausruhen ankreiden, würde es nicht gar so heftig Bumm machen.
Ein wüstes Sammelsurium an Produzenten schiebt dem Godfather die Beats unter. Hin und wieder setzt er sich auch selbst an die Regler: "I ain't scared to get my hands dirty." Es rappelt und quakt im Karton. Bässe landen wie Fausthiebe in der Magengrube, Skepta spricht In- und Outro und zimmert damit den Rahmen für Wiley, der mit angemessen jamaikanischem Flair im Vortrag die Geister von Marley und Tosh beschwört, trotzdem unverkennbar "Eskiboy in your speakerbox."
An anderen Stellen hüpfen pixelige Acht-Bit-Sounds mit wüst verhachstückten Klassik-Fetzen um die Wette. Hi-Hats ticken, Snares scheppern, Schüsse fallen und die eine oder andere Sirene röhrt aus der Dancehall herüber. Industrial-Bruchstücke verbrüdern sich mit Spuren von Drum'n'Bass zu amtlichen Brettern. "My Direction" schraubt dergestalt am Tempo, dass es der Verstand gar nicht richtig zu fassen bekommt. Schwer zu entscheiden, was ihm mehr zusetzt: der Beat oder doch der Flow, infektiös wie Ebola und Milzbrand zusammen?
"Like It Or Not" birgt eine leise asiatisch angehauchte Melodie. "Lucid" klackert und hallt wieder deutlich reduzierter. Trotz der Detailfülle klingt alles nach kleinen Mitteln, nach überschaubaren Budgets, mit denen sich auch im feuchtesten Souterrain arbeiten und verblüffenderweise stets maximale Wirkung erzielen lässt.
Der Fokus liegt dennoch auf den wie von Sinnen flowenden Emcees. Wiley lässt die Kollegen wieder einmal großzügig in der Stärke zweier Fußballmannschaften aufmarschieren. Die BBK-Weggefährten JME, Skepta und Frisco mischen mit, "grime treasure" Devlin, die Newham Generals, Lethal Bizzle ... einer klingt englischer als der andere, Ice Kid zudem wie Zitronensaft im Ohr. Für jeden einzelnen gilt: "I make the beat sound better when I ride it."
Statt ängstlich darauf bedacht zu bleiben, dass neben dem eigenen bloß kein zweites (oder drittes und viertes) Licht allzu hell erstrahlt, hat Wiley verinnerlicht, worin die Aufgabe eines Godfathers eigentlich besteht: Ein Pate sollte die Hand schützend über das ihm Anvertraute halten, ihm die Möglichkeit zur Entfaltung bieten. Wiley hat für Grime und seine Vertreter über die letzten zwanzig Jahre eine Schneise in die britische Musiklandschaft geschlagen, sie planiert und asphaltiert. Etliche sind darauf inzwischen schon gen Erfolg abgerauscht.
Auf seinem ureigenen Terrain geht Wiley selbst nun keinerlei Kompromisse mehr ein. Wozu auch? "My sound's alive. Even if I'm dead, my vibe will be alive."
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