laut.de-Kritik

Das letzte Polaroid einer zerbröckelnden Welt.

Review von

"My death wish mind and my brown dog eyes see the wavering lines / I've been left in the dust like a thing from the past ... / I got a gin soaked heart sinking down in doubt."

Vom ersten Moment im Opener "Waverling Lines" an geht Willis Earl Beal mit seinen düsteren Lyrics und seiner aufgeschürften Stimme auf direkten Konfrontationskurs mit dem Hörer. Für Ausgelassenheit, Lebenslust und Optimismus bleibt kein Platz. Über zwei Minuten stehen wir von Angesicht zu Angesicht, bis langsam aufkommende Streicher die beklemmende Atmosphäre aufbrechen.

"A lot of people think that the lives they lead are the truth / They think that what they believe is the truth / They think that what they see is the truth / Well, I'm your boy Willis Earl Beal and I don't believe that." Beal sieht keine Hoffnung, keinen Funken Liebe für uns.

Wie ein Nobody, ein unbeachtet in der Ecke einer nach Urin stinkenden Unterführung liegender Vagabund, studiert er das blasierte Dasein der vorbei streifenden Existenzen. Zielsicher bohren sich Beals Beobachtungen in die dunklen Lücken unseres Daseins. Gallig palavert er über den Tod, den Whiskey, die Dunkelheit und die uns umgebenden Lügen und Mauern.

Um seine Eindrücke bastelt er seinen eigenen Kosmos aus Delta-Blues, Goth-Soul, schrulligem R'n'B, Gospel und so manch einer Kakophonie. Mal flüstert Sandlerkönig Willis Earl Beal den vorbeiziehenden Passanten mit gespitzter Schlangenzunge heimliche Geschichten zu ("White Noise", "Blue Escape"), mal wirbelt er mit den Armen, geifert, schreit und lässt sich nicht bändigen ("Ain't Got No Love", "Hole In The Roof"). Wenn wir ihn auch nicht sehen wollen, den Blick gezielt in Richtung des Tunnelausgangs richten, so weiß dieser Niemand mehr von uns, als uns recht sein dürfte. "Nobody Knows."

Dabei hat sich einiges seit seinem Erstling "Acousmatic Sorcery" getan. Beal scheut sich nicht, beim Songwriting seine Mitmusiker und Produzenten mit auf die düstere Reise zu nehmen ("What's The Deal", "Hole In The Roof", "Coming Through"). Der noch selten präsente extreme Lo-Fi-Sound der vergangenen Tage, der einer in der Hitze geschmolzenen Schellackplatte glich, weicht einem fast schon zugänglichen Klangbild.

Besonders fällt dies am nahezu lieblichen Deep Soul-Pop "Coming Through", den Beal gemeinsam mit Cat Power vorträgt, auf. Jason Eckersons verziert den Song mit seinem murrenden Bass und einer vom Echo getragenen Gitarre. Schenkt man dem Text keine Aufmerksamkeit, könnte man einen Hauch von Zuversicht erkennen.

Auch das winterliche "Burning Bridges" verzaubert mit Glockenspiel, Bläsern und einem unaufdringlichen Schlagzeugmarsch. In Wahrheit schluckt sich die bittere Pille der Realität einfach nur leichter, wenn man sie mit einem zuckrigen Mantel überzieht. "While I cruise through the flesh in my hot-rod hearse / With my Nephilim nurse and her heart of bronze and her silent speech / Needing no reponse."

Mit "Everything Unwinds" öffnet Beal seinen Zauberkasten der fremdartigen Geräusche und Klänge. Seltsame Töne, wie auf einer Flaschenorgel gespielt, umgeben die Düsternis. Ein mondhelles Wiegenlied voll Seelenschmerz. Eiseskälte umgibt den Delta-Blues "Disintegrating" und seine dämonischen und degoutanten Samples und Lyrics. "I am the man of the shadow / The one you never could see ... / Now from where I stand / I can see your panties white ... / I'm gonna penetrate, baby / And make you feel just the same / Now you're the face of every lie that I've seen."

Das theatralische "Ain't Got No Love", in dem Beal begleitet von einem Spielzeugklavier, einer Slide-Gitarre und einem Honky Tonk-Piano zu einem wutschnaubenden Tom Waits-Pendant mutiert, zählt zu den spannendsten Momenten auf "Nobody Knows."

Immer wieder bricht seine Stimme unter der mehr und mehr von ihm Besitz ergreifenden Raserei zusammen, bis ihn ein jokerhaftes Lachen letztlich in den Wahnsinn entlässt. "Me and Jesus Christ and the devil too / Are bursting out on the scene just like the rebels do / We are the curious few with not a thing to do / But smash glasses on the wall 'til the last call through."

Geradezu versöhnlich entlässt uns Willie Earl Beal mit dem versunkenen Soul-Track "The Flow" aus seinem zweiten Longplayer, ohne dabei auf unbequeme Fragen und Konstatierungen zu verzichten. "Could I look into the eyes of the beast before it kills? / Could I accept my own demise and be the feast and enjoy the thrill? Here we go / Just going with the flow / So slow."

Beals letzte Worte auf "Nobody Knows." lauten: "I am nothing. Nothing is everything." Aus seiner Position des Niemands verfolgt er unsere letzten Schritte in die Düsterkeit. Er beschreibt ein letztes Polaroid-Bild einer in sich zusammenbröckelnden Welt. Voller Verachtung sieht er nur noch Gräuel, Fanatismus, Depression, Leid und Verlust. Ich möchte ihm mit einem Zitat, halb Thomas Bernhard, halb Virginia Jetzt!, antworten: "Wenn alles nur etwas heller wär' / So versteh' ich, in der Finsternis wird alles deutlicher."

Trackliste

  1. 1. Wavering Lines
  2. 2. Coming Through
  3. 3. Everything Unwinds
  4. 4. Burning Bridges
  5. 5. Disintegrating
  6. 6. Too Dry To Cry
  7. 7. What's The Deal?
  8. 8. Ain't Got No Love
  9. 9. White Noise
  10. 10. Hole In The Roof
  11. 11. Blue Escape
  12. 12. Nobody Knows
  13. 13. The Flow

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