laut.de-Kritik
Wie Botox auf der zerfurchten Stirn.
Review von Irene Winkler"Ein Desaster! Dilettantisch! Katastrophal!" Kurz: Alles Scheiße. So urteilten die Kritiker beinahe unisono, nachdem Yello im Oktober 2016 ihr allererstes Live-Konzert im Berliner Kraftwerk hinter sich gebracht hatten. Bei der Lektüre dieser vernichtenden Artikel, in denen es oft eher um das Drumherum als um die dargebotene Musik ging, runzelte sich schnell die Stirn. Dilettanten? Diese Perfektionisten? Na, das wollen wir doch mal sehen!
Blaue Lichtpunkte kristallisieren sich im dunklen Saal zu Fenstern, die Schemen von Wolkenkratzern freigeben. Ein Gugelhupf schwebt wie ein Raumschiff über die virtuelle Stadt und ein Rührstab taumelt schwerelos vorüber, während "Magma" jenseits des berühmten, stetig ratternden Yello-Trains sanft in überirdische Sphären fließt. Das wirkt wie Botox auf die zerfurchte Stirn. Keine Frage, wer noch immer zu den Großmeistern der elektronischen Klänge zählt: Boris Blank besteht seine Feuerprobe mit Bravour.
Vom Scheinwerferlicht verfolgt betritt Dieter Meier die Bühne, wo für eine Elektro-Band erstaunlich viel los ist. Fünf Bläser, Schlagzeug, Percussions, Gitarre und drei Backgroundsängerinnen tummeln sich neben dem mit zahlreichen Screens verkleideten Sound-Pult. Zum Gruße nickend richtet der als exzentrisch geltende Schweizer seine Ankündigung an das erwartungsvolle Publikum: "This first song is called 'Do It'. And after 35 years of not doing it, we decided to do it!" Seine 71 Lenze sieht man Meier an, aber sie stehen ihm gut. Er wirkt jedoch fast angestrengt konzentriert und einigermaßen nervös, wie er da im Spotlight vor seinem Publikum steht. Bei den ersten "Do its" kommt beim Zuhören tatsächlich für eine halbe Minute ein wenig Sorge auf, dass das vielleicht doch schief gehen könnte. Wie sich zeigt, völlig grundlos.
Stetig gewinnt der Herr am Mikro an Souveränität und bewegt immer beschwingter die Hüften. Auf der Leinwand laufen als optischer Kontrast die schon in den Achtzigern und Neunzigern unentschlossen zwischen Groteske und Kunst wandelnden Musikvideos. Der Dieter Meier auf dieser Bühne mimt nicht mehr das Huhn. Weder flattert er mit den Armen, noch ahmt er die arttypischen Kopfbewegungen nach. Das smarte Auftreten erscheint angesichts seines fortgeschrittenen Alters angemessener.
Bei "Bostich" lassen sie mutigerweise den charakteristischen Stimmverzerrer weg. Meiers eigene Stimmfarbe und ein mehrstimmig rufender Background ersetzen den steril-monotonen und nasalverzerrten Sprechgesang der berühmten Studioversion. Ein etwas schmutziger neuer Anstrich, der dem Stück äußerst gut zu Gesicht steht. Die gelungenste Transformation erfährt aber zweifellos der ausgelutschteste aller Yello-Songs: "Oh Yeah"! Statt dem stimmverzerrten Clown gibt der Sänger hier überzeugend den lässigen, sonoren Dandy.
Die musikalischen Unterschiede zu den Studioaufnahmen offenbaren sich schnell. Blank verteilt freigiebig einige Synthie-Spuren an die Musiker auf der Bühne und betraut sie mit diversen gut platzierten Soli. So bleiben selbst die zwölf Klassiker spannend. Die acht anderen Lieder stammen vom aktuellen Studioalbum "Toy" (2016).
Malia und Fifi Rong, die für "Toy" zu Blanks Klängen sangen, geben sich auch hier die Ehre. Während Meier bei "Electrified II" beweist, dass er auch den Part von Vincent Price in Michael Jacksons "Thriller" hätte einsprechen können, säuselt Malia herrlich soulig sanft zu Blanks elektrisierenden Beats. Fifi Rongs transzendentes Stimmchen entführt beinahe in tiefe Meditation. Zarteste Klänge erheben ihren engelsgleichen Gesang zu "Kiss The Cloud" geradewegs in den Himmel. Im darauf folgenden "Lost In Motion" mutiert die aus China stammende Performance-Künstlerin in Sekunden glaubwürdig zum verruchten Vamp. Für die "Starlight Scene" kehrt Malia im wallenden weißen Kleid zu einem Schmachtdialog mit Meier zurück. Viel zu groovy, um schnulzig zu sein. Für all diese Stücke formte Blank Klangwelten, die mit den speziellen Stimmen der beiden Damen regelrecht symbiotisch wirken.
In "Si Senor The Hairy Grill", Blanks Hommage an Meiers Zeit in Punk-Bands, kreischt die E-Gitarre. Selbst diese Stilrichtung integriert der Klangmeister optimal in seinen Sound. Mit einem Smartphone in der Hand wagt Boris sich anschließend von seinem Pult und tritt zu seinem Partner ins Rampenlicht. Gemeinsam führen sie die von Blank entwickelte Synthie-App Yellofier mit dem ungeprobten "The Yellofier Song" vor. Boris spricht "Du Be Di Bau" und noch unverständlichere Laute ins Handy, verzerrt seine eigene Stimme mit verschiedenen Effekten, legt diese in mehrere Schleifen und verschnörkelt das Ganze zu einem Song, den Meier mit improvisiertem Sprechgesang unterlegt.
Selbst der publikumsscheue Boris Blank zeigt sich einigermaßen locker. Kaum ist die Nummer gelaufen, zieht es ihn auch schon wieder hinter sein Pult, während Dieter Meier mit den Worten "The show is over" das Ende des Abends ankündigt. Vielstimmig verlangt das Publikum nach dem Yello-Klassiker schlechthin. Auch wenn sicherlich noch einige andere Live-Wünsche unerfüllt blieben, nimmt "The Race" nach einer stimmungsvollen Startaufstellung noch einmal richtig Fahrt auf.
Yello haben mit ihrer Liveshow nicht den einfachen Weg gewählt, und das Ergebnis spricht trotz fehlender Routine für sich. Nach 138 Minuten lehnt man sich entspannt und durchaus euphorisiert zurück. An diesem Abend war rein gar nichts desaströs und von Dilettanten keine Spur. Nur schade, dass die separat erhältliche Doppel-CD lediglich die zerstückelte Tonspur des Videos enthält. Meiers Ankündigungen und Erzählungen zwischen den Liedern bremsen das Hörvergnügen leider erheblich aus.
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