laut.de-Kritik
A change HAS come.
Review von Sven Kabelitz"Zieht eure verdammten Schuhe an, hier kommt jemand, der WIRKLICH singen kann." Mit diesen selbstbewussten Worten rauschte Aretha Franklin ins Studio. Den Sessionmusikern der Muscle Shoals rang diese Bemerkung nur ein Gähnen ab. Zu oft hatten sie Ähnliches gehört. Dann setzte sich Aretha ans Klavier und stimmte "Respect" an.
Ein Moment, der eine Zeitenwende im Leben der Sängerin und im Soul einleitete. Mit "I Never Loved A Man The Way I Love You" änderte sich 1967 alles. Aus der hoffnungsvollen Aretha Franklin, neun Alben lang von Columbia als "die neue Dinah Washington" vermarktet, wurde mit dem Wechsel zu Atlantic Records DIE Aretha Franklin. Keine Erklärung, kein Vergleich konnte ihrer Energie und Kraft noch standhalten.
Zeitgleich fand der Soul in ihr die Königin für den vakanten Platz an der Seite von Otis Redding, dem "King Of Soul". Das Regentenpaar herrschte bis zum fatalen Flugzeugabsturz am 10. Dezember 1967 jedoch nicht einmal ein Jahr lang. Seitdem sitzt die "Queen Of Soul" alleine auf dem Thorn.
Eben jenem Otis Redding verdankt Aretha mit "Respect" ihren Trademarksong, das Stück, das ihr die Tür zu weltweitem Erfolg öffnete. "Ein kleines Mädchen hat mir meinen Song geklaut", stellte Redding treffend fest. Sein auf "Otis Blue" veröffentlichtes Lied stellte Franklin genauso auf den Kopf wie dessen Aussage. Wer es geschrieben hatte, spielte ab dem Moment, in dem sie es das erste Mal sang, keine Rolle mehr.
Die Vorlage atmet in jedem Moment die in den 1960ern allgegenwärtige Rollenverteilung zwischen Mann und Frau. Der Alleinernährer kommt geschafft von der Arbeit nach Hause und verlangt von seinem daheim gebliebenen Weibsstück, deren Haushalt sich ja wohl von allein erledigt, Rücksichtnahme. Mit einigen kleinen Änderungen im Text und einer neuen Bridge drehte Franklin den Spieß um und erschuf so eine Hymne der Frauen- und Black Power-Bewegung. Sie bat nicht um "Respect", nein, sie forderte ein, was ihr gebührt. "R-E-S-P-E-C-T! Find out what it means to me!"
Die einst elegante Soul-Nummer wandelte sich in den Händen von Franklin, der Muscle Shoals Rhythm Section und den Background-Sängerinnen The Sweet Inspirations bestehend aus Carolyn und Erma Franklin sowie Whitney Houstons Mutter Cissy Houston zu einem vor Energie strotzenden Biest aus Gospel, Funk und Southern Soul. Jeder "Ooo"-Ausruf, jedes "Sock it to me" sitzt auf dem Punkt. Die Rhythmusarbeit trieft vor Schweiß. Die Bläser bersten vor Dynamik.
Otis Redding blieb nicht die einzige Soul-Größe, gegen dessen Songs sich Aretha auflehnte. Auf James Browns ein Jahr zuvor erschienenes "It's A Man's Man's Man's World" antwortete sie in "Do Right Woman, Do Right Man": "They say that it's a man's world / But you can't prove that by me / And as long as we're together baby / Show some respect for me." In einer Zeit, in der eine Frau keine Sozialhilfe beanspruchen durfte, wenn sie mit einem Mann zusammen lebte, und in der Schwarze auf der Straße um ihre Rechte in Amerika kämpften, transportierten ihre Songs wichtige, aber niemals aufdringliche Botschaften.
Daneben stand und steht ihre beeindruckende, ausdrucksstarke Stimme. Als sei Singen die einfachste und natürlichste Sache der Welt, die wirklich jeder kann, wechselt Aretha Franklin zwischen kraftvollen Ausbrüchen und samtweichen Umarmungen. Sie lässt einen spüren, dass jedes Wort, das ihre Lippen verlässt, zählt. Das würde auch stimmen, sänge sie ein Rezept für westfälische Erbsensuppe. Jeden Moment ihres Lebens durchfließt der Soul.
Gleiches gilt für ihr Klavierspiel, das aufgrund ihres außergewöhnlichen Gesangs nicht selten unterschätzt oder gar gänzlich übersehen wird. Beide zusammen bilden die bindenden Elemente, die so unterschiedliche Stücke wie das mit eleganten Gitarren-Licks unterlegte "Good Times" (Sam Cooke) und den von ihr geschriebenen Bossa Nova "Don't Let Me Lose This Dream" auf "I Never Loved A Man The Way I Love You" zusammenführen.
Etwas überschwänglich vergleicht Franklin Atlantic Records-Mitinhaber und Produzent Jerry Wexler in den Linernotes mit Ray Charles. Jenen Wrexler, der sie vom staubigen Columbia-Sound befreite und ihr den Weg zum Thron der "Queen Of Soul" zeigte. 2008 bezeichnete der Rolling Stone ihn in einem Nachruf als "The Man Who Invented Rhythm & Blues".
"You're a no good heart breaker / You're a liar and you're a cheat / And I don't know why / I let you do these things to me / My friends keep telling me / That you ain't no good / But oh, they don't know / That I'd leave you if I could." All der Herzschmerz, den Franklin in den von Ronny Shannon geschriebenen, jedoch wie aus ihrem eigenen Leben gepflückt scheinenden Titelsong legte, basiert auf ihrer von Gewalt durchzogenen Beziehung mit ihrem Noch-Ehemann und Manager Ted White, von dem sie sich 1969 scheiden ließ.
Sinnlich und schmerzerfüllt kämpfte sich Aretha durch die Strophen des sich nur zaghaft steigernden Soul-Blues'. "Don'cha never, never say that we we're through / cause I ain't never / never, never, no, no loved a man / the way that I, I love you." Innerhalb kürzester Zeit wechselt sie in diesen Zeilen von erzürnter Pein zu einem sanften, schmachtenden Flüstern. In der zweiten Strophe zieht ihr Piano wutentbrannt an Schlagzeuger Gene Chrisman und Bassist Tommy Cogbill (Wilson Picket, Dusty Springfields "Dusty In Memphis") vorbei, bis sie nach dem Refrain Gitarrist Jimmy Johnson (Etta James, Rolling Stones' "Sticky Fingers") und der herausragende Tenor-Saxophonist King Curtis (John Lennons "Imagine") in Empfang nehmen.
Nur die Aufnahmen zu "I Never Loved A Man (The Way I Love You)" und "Do Right Woman, Do Right Man" beendete sie im Muscle Shoals Sound Studio, bevor es zum Streit zwischen dem Studiobesitzer und White kam. Das Album stand auf der Kippe, bis Wexler Franklin mitsamt der Muscle Shoals Rhythm Section ins Atlantic Studio in New York verfrachtete.
Das schmuddelige, tief in den Blues getauchte "Dr. Feelgood (Love Is A Serious Business)" schrieben Franklin und White gemeinsam. Im gedämpften Rotlicht erzählt sie zu Hammond-Orgel und aufreizenden Bläsern die Geschichte vom Doktor, der mit seiner ganz speziellen Behandlung jeden Schmerz hinfortwischt. "His name is Dr. Feelgood in the mornin' / And taking care of business / Is really this man's game."
"There's an old friend that I once heard say something that touched my heart / And it began this way ...", eröffnet Aretha das abschließende Sam Cooke-Cover "A Change Is Gonna Come". Hier zeigt die "Queen Of Soul" noch einmal, wie sie einem bekannten Song mit einem einfachen Kniff eine neue Ausrichtung gibt, ohne die ursprüngliche Botschaft aus den Augen zu verlieren.
In ihrer geerdeten, von den dramatischen Geigen entschlackten Version reichte ihr dafür ein einziges Wort. In den drei Jahren seit Cookes Tod hatte sich vieles verändert. Präsident Lyndon B. Johnson unterschrieb 1965 den Voting Rights Act, der die gleiche Beteiligung von Afroamerikanern und anderen Minderheiten bei US-Wahlen gewährleistete. Zuvor wurden diese unter anderem mittels Analphabetismus-Tests von einer Stimmabgabe ausgeschlossen. Konsequent änderte Franklin im Verlauf des Stücks "A Change Is Gonna Come" in "A Change HAS Come".
"I Never Loved A Man The Way I Love You" trat jede Menge Veränderungen in Aretha Franklins Leben los. Aus dem einst hoffnungsvollen Talent erwuchs eine Legende des Souls. Großartige Alben wie "Lady Soul", "Aretha Now", "Amazing Grace" und "Young, Gifted And Black" folgten. Als die Karriere stockte, schaffte sie dank eines unvergesslichen Auftritts im Film "Blues Brothers" den Sprung in die 1980er. "Jump To It", "Who's Zoomin' Who?" und Pop-Soul-Hits mit George Michael ("I Knew You Were Waiting For Me") und den Eurythmics ("Sisters Are Doin' It For Themselves") schlossen sich an. Achtzehnmal erhielt sie den Grammy.
"Wenn Aretha singt, kocht die amerikanische Geschichte über", erklärte Barack Obama, der erste afroamerikaische Präsident der Vereinigten Staaten, seine emotionale Reaktion auf ihren Vortrag von "A Natural Woman" 2015 bei der Verleihung des Kennedy-Preises. "Niemand verkörpert die Verbindung zwischen afro-amerikanischen Spirituals, Blues, R'n'B und Rock'n'Roll umfassender, diese Art, wie sich Kummer und Sorgen in etwas voller Schönheit, Leben und Hoffnung verwandeln."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare mit 3 Antworten
wun-der-voll. danke.
Plöp
Endlich ein Aretha Meilenstein. Glaub ich hätte auch dieses Album dafür ausgesucht.
Einer der wirklich geWICHTIGEN Meilensteine.
Höre die Dame in letzter Zeit rauf und runter, allerdings "nur" die mit fast 90 Stücken vollgepackte Sammlung "The Queen of Soul", einzelne Alben - da kann ich nicht mitreden. Aber Aretha haut mich vollkommen um, nur Liebe für diese Frau.
Zu Beginn der ersten CD der Sammlung findet sich ja fast das komplette Album.
Kann da, außer ein paar Überhits, bei den ganzen 90 Songs keine Faves rauspicken, es ist einfach alles so dermaßen geil! Aber danke für den Hinweis, dann kenn ich das Album ja doch irgendwie.
Ich weiß, betteln ist nicht schön, aber wie wäre es den mal mit einem Primus - Sailing the Seas of Cheese? Ich mein, allein der Basslauf von American Life, pure Liebe.