laut.de-Kritik
Theater-Aufführung mit großartigem Devin Townsend-Ersatz.
Review von Yan VogelWenn Arjen Lucassen, Mastermind von Ayreon, seinen Gedanken Flügel verleiht, entstehen Konzeptalben monolithischen Ausmaßes. Die Lyrics behandeln nahezu ausnahmslos die großen Fragen des Lebens: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? ("The Theory Of Everything", "01011001", " Universal Migrator" - Part 1 und Part 2).
Insofern stellt das 2004er-Opus "The Human Equation" eine Ausnahme dar. Hier steht die Conditio Humana im Mittelpunkt. Nach einem Autounfall liegt ein erfolgreicher und nicht immer fairer Geschäftsmann im Koma. In seinem Kopf tobt das reinste emotionale Chaos inklusive biographischer Flashbacks.
Die insgesamt 20 Songs behandeln je einen Tag des komatösen Zustands. Die sonst sehr Science Fiction-lastigen Storys weichen hier einer psychologischen Ausleuchtung. Das Geschehen spielt sich im Kopf des Hauptprotagonisten ab, beeindruckend gemimt von Dream Theater-Sänger James LaBrie. Das von Arjen Lucassens Werken bekannte musikalische Kopfkino bekommt hier seine lyrische Entsprechung.
Versiert in sämtlichen Kompositionstechniken, dominieren vergleichsweise einfache Songstrukturen und prägnante Melodien, auch wenn sie, wie das adaptierte James Bond-Thema zu Beginn von "Pain", nicht immer dem eigenen Genius entsprungen sind. Klarer Fall von Kryptomnesie, der unbewussten Adaption fremden Gedankenguts als eigene Neuschöpfung.
Auch die Fokussierung der Story auf den Hauptprotagonisten, genannt Me, erleichtert eine Bühnenadaption. Im weitesten Sinne geht es um eine psychologische Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen, die szenisch auf- und abtreten, jeweils ihren Solo-Spot erhalten und natürlich in fulminanten Massenszenen die jeweiligen dramaturgischen Höhepunkte ansteuern.
Lucassen wollte von Beginn an das hohe Niveau der CD-Produktion mit möglichst vielen Originalsängern erhalten, gleichzeitig jedoch nicht selbst in Erscheinung treten. Daher gab der selbst ernannte Perfektionist während der zweijährigen Vorbereitungsphase viele Fäden aus der Hand. Joost van den Broek durfte als musikalischer Direktor viele Entscheidungen wie die Zusammenstellung der Band oder das Angleichen der CD-Arrangements an die Live-Umsetzung übernehmen.
Heraus kommt eine Band, die der klassischen Rock/Metal-Besetzung noch Holzgebläse, Cello, Geige und die für Ayreon obligatorische Synthie-Armada hinzufügt. Klar mussten einige Arrangements angeglichen werden, doch fällt dies angesichts der brillanten spielerischen Umsetzung nicht ins Gewicht. Zudem castete man extra für diesen Anlass einen 19-köpfigen Chor, der einige coole Spots erhält wie etwa in "Love" als Abschluss des ersten Aktes. Auch die irren Vocal-Arrangements von Devin Townsend in "Pain" kommen durch den Chor zur Geltung.
Minimale Abzüge gibt es aufgrund einiger Ungenauigkeiten in Sachen Ton und Licht, was jedoch der Live-Situation geschuldet sein dürfte. Ein Teil des Casts der Originalproduktion konnte für die Live-Adaption erhalten werden, neben LaBrie auch Devon Graves (Psychotic Waltz, Deadsoul Tribe) als Agony. Für Mikael Akerfeld (Opeth) und Devin Townsend übernehmen hingegen Anneke von Giersbergen (Ex-The Gathering) und Mike Mills. Von Giersbergen fügt dem Growl-lastigen Opeth-Part eine ganz eigene Note bei, der Frontmann der australischen Prog-Youngsters Toehider dagegen ist eine echte Entdeckung: Er meistert nicht nur spielerisch die anspruchsvollen Vocal-Parts von Townsend, sondern untermalt das Ganze mit dem entsprechendem Schauspiel.
Die vorliegende Live-Fassung ist ein Mitschnitt der letzten von vier exklusiven Shows, die im September 2015 im Nieuwe Luxor Theater in Rotterdam zur Aufführung kamen. Im wie gewohnt üppigen Bonus-Teil erhält der Fan zudem einen Einblick, was es produktionstechnisch bedeutet, eine solche Herkules-Aufgabe zu stemmen.
2 Kommentare
Kann jemand etwas zur Bild- und Tonqualität der BD sagen?
Ganz, ganz, ganz, ganz, GANZ großes Kino!!! 10 Sterne! Da stimmt alles! James LaBrie liefert imo die beste Leistung seiner Karriere ab. Besser geht es nicht! Ob man nun die BluRay braucht kann ich nicht sagen - einige Teile sehen ziemlich matschig aus, besser als die DVD aber allemal. Der 5.1 Ton liegt auch nicht in HD vor, aber das ist auch kein Beinbruch. Ich habe mir das volle Programm mit dem Artbook gegönnt.