laut.de-Kritik

Bunte Palette aktueller Dancehall-Zwischentöne.

Review von

Beenie Mans Album "Simma" läuft als bunte Palette heutiger Dancehall-Zwischentöne durch, hat einige Mittanz- und Hinhör-Momente und nutzt Latin- und Afro-getränkte Bausteine. Die üppige Sammlung untergliedert sich in geschmackvolle Romantic-Afrobeats ("Zimm ft. BackRoad Gee, Stonebwoy"), sphärischen Grime- und Future Bass-inspirierten Hip Hop, der sich zugleich "a long time before Wu-Tang Clan" zurück beamt und einen Hauch Drill einsaugt ("King ft. BackRoad Gee, Ms Banks, Teeway"). Außerdem überzeugt ein perfekt flowender Workout-Soundtrack ("Fitness Instructor ft. Shenseea, Ms Banks"), ein unbedingter Tanzflächen-Magnet mit Reggaeton-Vibe ("Push It On Me ft. Relevant, Jahfrican"), schneidiger, fluffiger R'n'B ("Docta ft. Mya", "Let Go ft. Tina HoodCelebrityy") und eine smoothe Kreuzung aus Oldschool-Dancehall der späten 90er mit heutigen Azonto-Bubble-Beats ("Heavy On The Grades ft. Cee Gee") - all das sortiert sich schon mal auf der Haben-Seite.

Gefällige Jojo-Pump-Beats zu einem Text über Mädchen ("Dem Want More ft. Morgan Heritage") und zeitgenössische Plug-In-Hi-Hat-Claps ("How Deep ft. Dexta Daps") driften in nette, aber etwas belanglose Leerlauf-Phasen ab. Aus manchen non-stop-Wortkaskaden ("Simma", "Sharpshooter ft. Patoranking, Busy Signal, Giggs") wäre mehr raus zu holen. Denn langweilige Beat-Outfits relativieren die engagierten und ausdrucksvollen Toastings und Gesänge.

Neutralen bis positiven Standard liefert einer der typischen eingängigen Melody-Riddims aus dem Hause Frankie Music ("Up Deh"), und auch zarte Latinpop-Gospel-Roots mit politischen Black-Lives-Matter-Zeilen sind entdeckenswert: ("Fun In The Sun ft. Dre Island, Popcaan"). In Dre Island sah manch einer schon das Potenzial eines zweiten Kabaka, Gast Popcaan hat sich soundtechnisch gut in die Streaming-Ära eingefügt, genießt Headliner-Status bei Festivals.

Viel von der Buntheit und Lebendigkeit des "Simma"-Albums hängt an den insgesamt 25 Gästen und überdies an den verschiedenen Produzenten der Riddims. Den progressiven Hip Hop in "King" verantwortet zum Beispiel das jamaikanische Team Talk Of The Town, während "Supa Star ft. Anthony Red Rose, Sean Paul" aus dem Hause Dutty Rock stammt und entsprechend vertraut klingt.

Für kleine Überraschungen sorgen hingegen "Chop Suey", eine Fusion aus Urbanpop, Dancehall und Chutney-Soca, und eine brandneue Version von "Angel Of The Morning" als Kirsche auf der mehrschichtigen Torte: "Good Like Gold ft. Shaggy". Mista Boombastic und Beenie finden einen völlig neuen Ansatz auf der Rhythmusstruktur und Melodie des Sixties-Classics. Eigentlich sehr geschickt gemacht, mangelt es dem neuen Track aber an einer Hookline. So baut die Nummer fortwährend Spannung auf, entlädt die Erwartungshaltung aber nie.

Ans Herz legen möchte ich euch den lustig vibenden Soundtrack fürs Gym, "Fitness Instructor ft. Shenseea, Ms Banks", auf dem die drei einander das Mikro in fliegendem Wechsel in die Hand drücken, für Spaß beim Training werben und mit prägnanten Stimmen gute Laune zu coolen, federnden Beats verbreiten.

Dabei passiert nichts Außergewöhnliches. Doch die Kombination der Einzelteile zündet mindestens so sehr, wie der brennende Umhang auf dem Cover in Flammen steht. Kantige Synth-Percussion-Loops unterlegen Beenies Ansage, "push up your waist line" im "Gymmy, gymmy, gymmy", während Shenseea in der Rolle als Trainerin "slimmy slimmy slimmy" säuselt. Ms Banks, britische Rapperin mit nigerianisch-ugandischen Eltern, trat bei der ESC-Ausrichtung 2023 im Rahmenprogramm auf und wurde dadurch einem breiten Publikum bekannt, ist aber ein Nischen-Act aus Londons Afro-Bashment-Szene. Hier freestylet sie ein paar Zeilen zur Befindlichkeit und zur Ehre, mit dem Beenie Man zu kollaborieren. Die Fitness-Trainerin "make you start stretches", so kommentiert der Dancehaller.

Allgemein gelingen Beenies Duette mit den Frauen gut, wie auch das souverän groovende Feature "Docta ft. Mya" zeigt: ein neues "Docta". Mit dem Beenie Man-Hit "Da Doctor" von 1999 hat es nichts zu tun. Aber, wie schon der damalige Track, so punktet auch der neue mit Kelis-artigen Urban-Beats. Der große Wurf des Albums ist in musikalischer Hinsicht das leichtfüßige "Let Go ft. Tina HoodCelebrityy". Selbst dieser Tune ist nicht dramatisch innovativ, doch die Harmonien unter der wortlastigen Story sind stark, und die Zusammensetzung passt. In ihrer Schlichtheit bleibt genug Raum für den Inhalt und die Atmosphäre.

Gute Percussion in Afro-Congas-Style gibt den Takt und einen zügigen Drive vor. Das Lied hat eine psychologische Message: Es sei oft besser, etwas oder jemanden ziehen zu lassen, anstatt sich fest zu beißen. Vermisstwerden und Begehrtwerden als Trophäen zu verstehen, prallt hier auf eine melancholische Grundstimmung. Mit dem neuen Statussymbol Tesla im 'Ghetto'-Kontext vorzufahren, dieses Bild lässt sich in heutigen Dancehall-Stücken wohl kaum vermeiden, ploppt auch hier auf. "I think it's best if you let go", überlegt Beenie Man dann, der in diesem Track auch mal singt und somit mehr als den reinen Dancehall-Toaster gibt.

Das Lied profitiert vom generellen Kunstgriff hier auf "Simma": Feature-Strophen jeweils an den Track-Anfängen zu platzieren. HoodCelebrityy aus Cardi Bs Umfeld hat mit ihrem Mixtape "Trap vs. Reggae" große Erwartungen geweckt - unter anderen die eines Major-Labels, bei dem sie nur seither kaum was releast hat. Vor der Pandemie sah's allerdings so aus, als ob sie - bürgerlich Tina Pinnock - dem Dancehall wieder ein weibliches Gesicht und neue Impulse geben wird. Jetzt entscheidet sie sich erst mal, das Pseudonym weg zu lassen und als Tina zu firmieren. Womöglich hat sie das Zeug zum Weltstar - es wird noch interessant mit ihr.

Zur Slackness-Debatte über Homophobie im Dancehall hat ihr Gastgeber längst einen einordnenden Song gemacht: Für "Slackness" lud ihn die Symbolfigur upliftender, positiver Rasta-Texte ein, der soulvolle Crooner Everton Blender. Beenie erläutert in der Nummer bereits 2012, Slackness, das sei für ihn, wenn Polizei Gewalt an Unschuldigen verübe. Was ihn selbst zu den Gewaltaufrufen im umstrittenen "Weh Yuh Nuh Fi Do" (2004) geritten hat, warum ein erfahrener Produktions-Profi wie Tony Matterhorn dafür die Beats machte und das Traditions-Label Greensleeves die Single presste und vermarktete - es bleibt bis heute ungeklärt. Das ist lange her, aber nur halb so lang wie Aiwangers Verbal-Pannen als Schüler. Im Unterschied zum Hubsi hat Beenie sich seither aber still verhalten. Während der Politiker noch im Juli die "Demokratie zurück holen" wollte, gibt "Simma" jedenfalls keinerlei Hinweise auf Hetze, Hysterie, Gewaltfantasien oder Diskriminierungen.

Beenie Man verteidigt mit dem Album seinen Platz als einer der bekanntesten Promis der Karibik mit relativ viel Material. Und auch wenn nicht jeder Tracks jeden Fan mitreißen wird, ist bei verschiedenen Geschmäckern für viele Leute was dabei.

Trackliste

  1. 1. Simma
  2. 2. King ft. BackRoad Gee, Ms Banks, Teeway
  3. 3. Sharpshooter ft. Patoranking, Busy Signal, Giggs
  4. 4. Chop Suey
  5. 5. Up Deh
  6. 6. Zimm ft. BackRoad Gee, Stonebwoy
  7. 7. Docta ft. Mya
  8. 8. How Deep ft. Dexta Daps
  9. 9. Fitness Instructor ft. Shenseea, Ms Banks
  10. 10. Hel-Eva Bumpa ft. Bunji Garlin
  11. 11. Let Go ft. Tina HoodCelebrityy
  12. 12. Push It On Me ft. Relevant, Jahfrican
  13. 13. New Money
  14. 14. Heavy On The Grades ft. Cee Gee
  15. 15. Good Like Gold ft. Shaggy
  16. 16. Dem Want More ft. Morgan Heritage
  17. 17. Supa Star ft. Anthony Red Rose, Sean Paul
  18. 18. Fun In The Sun ft. Dre Island, Popcaan
  19. 19. Blessings
  20. 20. Prayer ft. Charly Black, Louie Culture

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