laut.de-Kritik

Auf den Spuren von Lenny Kravitz.

Review von

"Fake Sugar" ist nicht die Geschichte von Lenny Kravitz, aber es startet mit seiner. Fast dreißig Jahre ist es her, dass Kravitz mit "Let Love Rule" ein Debüt voller Herzblut, Zorn und Passion veröffentlichte, das sich mit seinem warmen Retrosound gegen das unterkühlte Plastik der 1980er auflehnte. Mit den beiden folgenden Alben "Mama Said" und "Are You Gonna Go My Way" schloss er nahtlos an.

Danach verlor die Musik für ihn spürbar und scheibchenweise von Album zu Album an Wert. Sein Jetset-Leben fand zunehmend in Filmen und den Klatschspalten statt. Zu oft wurde ihm der Popo gepampert. Zuerst hielt er seine Longplayer noch mit ein paar netten Liedchen und elektronischen Spielereien über Wasser. Das bisherige Ende der Entwicklung erschien 2014 unter dem Namen "Strut". Eine künstlerische Bankrotterklärung. Er bietet ein abschreckendes Beispiel und steht für eine ganze Reihe weiterer, einst vor Leidenschaft strotzenden Acts, die einen ähnlichen Weg wie er gingen.

Was hat all dies mit Beth Dittos Solo-Debüt "Fake Sugar" zu tun? Leider sehr viel. Irgendwo zwischen all den Karl Lagerfelds, Marc Jacobs und Tom Fords, zwischen "The Guardian" und "Gala" ging ihr ihre Dringlichkeit von "That's Not What I Heard", "Standing In The Way Of Control" und "Music For Men" verloren. Die Musik geriet aus dem Fokus und es fällt ihr schwer, diesen wieder scharf zu stellen. Die ehemalige The Gossip-Sängerin steht an der Klippe der Belanglosigkeit. Noch steht sie dort stabil, fällt nicht hinab, aber die Situation ist bedrohlich. Auf der nach unten offenen Kravitz-Skala befindet sie sich momentan bei "5".

Natürlich verfügt Ditto nach wie vor über eine herausragende Stimme. Den zwölf Stücken auf "Fake Sugar", die gemeinsam mit Jennifer Decilveo und Jacknife Lee entstanden, kann man nur wenig vorwerfen. Das sind durchgehend stabile bis gute Pop-Rock-Tracks mit einem Hauch von Disco und Country.

Jeder einzelne lässt sich in der Playlist für die nächste Grillparty bequem neben Adele, die späten U2 oder Coldplay einfügen. Dazu scheinen zum Glück gelegentlich noch Blondie und ihre ehemalige Band durch. Alles hier geschieht im geordnetem Rahmen. Aufgeräumter Protest von dem auf Dauer nur wenig hängen bleibt. Die Songs sind halt da und dann gehen sie wieder weg.

In Sonja Matuszczyks "Fake Sugar"-Kritik in der Spex fand ich folgenden Satz: "Doch auch wenn Ditto (...) sich in einer Powerrock-Ballade wie 'Lover' zu Bonnie-Tyler-Gedächtnisgitarren das Hemd zerreißt, findet sich im Kern des trügerischen Karamellbonbons Dittos strahlende und ungebrochene Riot-Grrrl-Attitüde." Genau hier findet sich der Kern des Übels. Hört man sich heute mit offenen Ohren noch einmal Tylers "Total Eclipse Of The Heart" an, merkt man, wie sie im Studio für jede einzelne Zeile des Songs starb. Ihr bedeutete dieses von Meat Loaf abgelehnte Lied ihr Leben. Beth trifft alle Töne makellos, klingt hingehen aber, als hätte sie bereits den nächsten wichtigen Termin im Hinterkopf.

Wenn alles gut geht, entstehen dabei engagierte Tracks wie "Fire", "Oo La La" oder das ihre eigene musikalische Vergangenheit und Disco vermischende "Do You Want Me To". Wenn es nicht ganz so gut läuft klaut sie sich den "Hold Me Now-"Refrain der Thompson Twins für "Oh My God" oder klingt in "We Could Run" wie ein auf einer überdimensionalen Zitrone tanzender Bono. Für den unaufgeregten Titeltrack streift Ditto ein luftiges Country-Gewand über.

Vielleicht hat Beth Dittos Entwicklung auch etwas Gutes und ihre immer noch allgegenwärtigen Aussagen zu Feminismus und LGBT erreichen in dieser zugänglichen Umgebung mehr Menschen als je zuvor. Musikalisch steht sie jedoch am Scheideweg und die nächste Platte wird zeigen, wo die Reise hingeht. So lange hinterlässt ihr Solo-Debüt den bitteren Geschmack von Saccharin. "Fake Sugar" ist nicht die Geschichte von Lenny Kravitz. Ditto läuft aber massiv Gefahr, dass sich beide Geschichten angleichen.

Trackliste

  1. 1. Fire
  2. 2. In And Out
  3. 3. Fake Sugar
  4. 4. Savoir Faire
  5. 5. We Could Run
  6. 6. Oo La La
  7. 7. Go Baby Go
  8. 8. Oh My God
  9. 9. Love In Real Life
  10. 10. Do You Want Me To
  11. 11. Lover
  12. 12. Clouds (Song For John)

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LAUT.DE-PORTRÄT Beth Ditto

"Eine fette, feministische Lesbe aus Arkansas" - so beschreibt sich Beth Ditto alias Mary Beth Patterson selbst. 1981 geboren und aufgewachsen in der …

7 Kommentare mit 29 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Bushido sollte mal ein Feature mit Ali klarmachen, dann kann EGJ sich den Weltrekord für die schwerste Featurecombo klären.

  • Vor 7 Jahren

    Du unterschlägst das Beth als Gesamtkunstwerk funktioniert und sich auch so definiert. In dem ich ein zugegeben konventionelles Album zerpflücke, werde ich ihr nicht gerecht u. erst recht nicht ihren Fans. Die Frau in der Musik, als dein Thema, wird dadurch auch beschädigt. Herzloses, dahin Gepinne halt.

    • Vor 7 Jahren

      Wen kümmert der Künstler, wenn die Musik nix ist? In meinen Augen ist der Künstler als Persönlichkeit höchstens ein Bonus.

    • Vor 7 Jahren

      Der fette Meurer sympathisiert mit Beth eben, weil sie im Adipositas-Ranking in derselben Liga spielt wie er selbst. :D

    • Vor 7 Jahren

      Das mag bei vielen so sein, bei Beth mit Sicherheit nicht.

      ""Eine fette, feministische Lesbe aus Arkansas" - so beschreibt sich Beth Ditto alias Mary Beth Patterson selbst.""

    • Vor 7 Jahren

      Und deshalb soll/darf/muss die Musik schlecht sein? Mit der richtigen Begründung und so als "Kunstwerk" ist also auch Daniel Küblböck feierbar?

    • Vor 7 Jahren

      "Die Frau in der Musik, als dein Thema, wird dadurch auch beschädigt. Herzloses, dahin Gepinne halt."

      Die Begründung folgt doch sicher noch, oder?

    • Vor 7 Jahren

      Der Meurer mal wieder richtig hart dumm unterwegs.

    • Vor 7 Jahren

      DarkO, ist der Küblböck inzwischen zur Frau mutiert?

      Morpho lese doch die Kritik, das nur ein Umkehrschluss.

      Und Craze du bist der dumme Mensch, nicht verwechseln! Nicht schlimm, bei dummen Menschen kann man ein wenig Verstand gar nicht erwarten.

    • Vor 7 Jahren

      In Zeiten von Genderblablabla sollte doch egal sein, ob Mann oder Frau. Oder dürfen nur Frauen scheiß Musik machen, so lange sie was "besonderes" sind? Und du hast noch immer nicht meine Frage beantwortet, wieso Musik in den Hintergrund rückt, nur weil die Künstlerin eine "fette, feministische Lesbe aus Arkansas" ist.

    • Vor 7 Jahren

      Meuri, hängst du eigentlich am Dosenbier?
      Für einen alten, arbeitslosen Fettsack wäre das ja eigtl naheliegend, vor Allem wenn man sich mal Dein Gelaber hier gibt.

    • Vor 7 Jahren

      @DarkO, weil es so ist bei Beth, das ich ihre Musik nicht mag, spielt keine Rolle. Gerade in Zeiten von Genderblabla, ist Beth ein klares und gutes Statment.

    • Vor 7 Jahren

      Gelesen.

      "Du unterschlägst das Beth als Gesamtkunstwerk funktioniert und sich auch so definiert."

      Das ist die Rezension eines Albums und nicht des Gesamtkunstwerks.

      "In dem ich ein zugegeben konventionelles Album zerpflücke, werde ich ihr nicht gerecht u. erst recht nicht ihren Fans."

      Ist es der Anspruch eines Rezensenten, den Fans der besprochenen Interpret*innen gerecht zu werden? Dann dürfte man ja gar nichts mehr kritisieren.

      "Die Frau in der Musik, als dein Thema, wird dadurch auch beschädigt."

      Nenn mich dumm, aber auch nach der Lektüre der Rezension hab ich keine Ahnung, was du damit meinst. War es Intention seiner "Die Frau in der Musik"-Serie, dass nichts, was eine weibliche Musikschaffende veröffentlicht, je wieder kritisiert werden darf?

    • Vor 7 Jahren

      Nein Morpho, Meuri ist einfach nur geistig behindert und keine seiner Aussagen ergibt jemals einen Sinn.

    • Vor 7 Jahren

      Beth kann man nicht trennen, trenne ich Musik von Beth, ist das eine Amputation ohne Befund, das die nötig wäre.

      Zu der Diskussion um die Frau in der Musik, das sollte dir auch nicht klar werden, sondern dem Autor. Hat einen längeren Vorlauf. Ich kann dir da nun nicht auf die Sprünge helfen, wenn man nur sich mit Dutzenden von Fakes beschäftigt, verliert man eben die Übersicht. Is so! ;)

      Das mit den Fans, bei Beth ihr als politisches Statment zu kommen und sie mit ihrer Kunst zu kritisieren verbietet sich, ja. Aber halt nur bei ihr.

    • Vor 7 Jahren

      Hab mit Sven über Facebook geschrieben. Der weiß auch nicht, was du meinst.

    • Vor 7 Jahren

      Vmtl, weil er im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten ist.

    • Vor 7 Jahren

      speed, du hast die außergewöhnlichste Satzstellung und Zeichensetzung, die ich je gesehen habe...

      das doch n Fakeaccount oder?

    • Vor 7 Jahren

      Du meinst wohl die Grauenhafteste.
      Stephan Meurer ist einfach vom jahrelangen PET-Genuß gezeichnet.

    • Vor 7 Jahren

      manchmal ist das werk außergewöhnlicher als der autor.

    • Vor 7 Jahren

      "Beth kann man nicht trennen, trenne ich Musik von Beth, ist das eine Amputation ohne Befund, das die nötig wäre."
      oh mein gott..geht es nicht noch theatralischer ??
      Entschuldigung.. aber "Geamtkunstwerk" hin oder her... aber wenn ein Teil davon schlecht ist darf man das sagen..auch wenn das manchen nicht gefällt. Und wenn eine Platte nicht gut, dann darf man das auch sagen. NEIN .. man muss es sagen. Es geht nicht an, das man Selbstzensur betreibt, nur damit die Fans eines "Gesamtkunstwerkes" nicht jammern :
      "Du unterschlägst das Beth als Gesamtkunstwerk funktioniert und sich auch so definiert."
      Und was soll dieses : man wird ihr und ihren Fans nicht gerecht ??
      Ist auch nicht der Sinn der Sache. Die Kritik muss der Platte gerecht werden, und zwar so wie sie ist. Ohne das man irgendetwas beschönigt, nur um irgenjemandem gerecht zu werden.

    • Vor 7 Jahren

      also ein bisschen weniger "Gesamt" würde ihr halt trotzdem schon auch gut tun.

    • Vor 7 Jahren

      @mai, du bist da auf dem Holzweg unterwegs. Bestimmte, nennen wir sie ruhig Künstler, das "Gesamt" kann man sicher weg lassen, sind halt anders, sie schlagen aus der Art. Und das ist gut so. Sie sind mit einer eindimensionalen Betrachtung ihres Schaffens, nicht zu erfassen. Nur weil ich zu faul bin das denken zu wollen, wird es noch lange nicht richtig. Da muss man sich halt raus halten o. zugeben das man Holzwege liebt. ;)

      Ein anderes Beispiel dieser seltenen Spezie, Helge Schneider. Der Typ ist Komiker, Musiker, Schauspieler u. Gesellschaftspolitisch ein tolles Statement auch noch. Hab ich da ein Musikalbum vorliegen und muss es kritisieren, ziehe ich da einen Kreis rum, um die drei anderen Sachen, die er halt so macht und berücksichtige das bei meiner Kritik.

      Bei Lenny Kravitz muss ich keinen Kreis ziehen, der ist wirklich nur anhand seiner Musik zu bewerten und kommt dabei schlecht weg. Das ist also irreführend, wenn ich den als Beispiel nehme, um Dito damit zu kritisieren.

      Mir fehlt hier bei der Kritik der Kontext, natürlich darf man ein schlechtes oder durchschnittliches Album von Dito auch so bewerten, aber nur im richtigen Kontext. Das war hier nicht der Fall.

    • Vor 7 Jahren

      Eieiei Meurer...

    • Vor 7 Jahren

      Entschuldigung Speedi mein lieb oder sollt ich sagen er da muss ich jetzt doch mal entscheidend eingrätschen.in diesem Sinne der Künstler ist Tot lang lebe der Künstler. Ein Werg kann man sich immer ohne den künstler zu kennen betrachten oder ja anhören und der kritikaster muss es auch bewerten können ohne den künstler zu kennen ob es nun Beth dito ist oder ganz jemand anders.

  • Vor 7 Jahren

    wow, das klingt ja niederschmetternd. nach der überragenden vorabnummer "fire" hatte ich mit einem explosiven album gerechnet.