laut.de-Kritik

Von der Entschleunigung in modernen Zeiten.

Review von

Damon Albarn, das Arbeitstier, der Ex-Drogenabhängige, der Revoluzzer, die Brit-Rock-Legende. Sanftmütig scheint er geworden. Zuletzt versöhnte er sich mit seinem größten Kontrahenten Noel Gallagher bei einem gemeinsamen Auftritt und stellte gar ein gemeinsames Album in Aussicht.

Jetzt veröffentlicht Damon mit "Everyday Robots" seine erste Soloplatte und gibt sich extrem entschleunigt. Dass der Pfeffer seiner wilden Blur- und Gorillaz-Zeiten verschwunden ist, bedeutet allerdings nicht, dass der Alleingang nun fad ausfällt.

Süß aber nicht überzuckert. Albern aber nicht lächerlich. Herzerweichend aber nicht kitschig. Langsam aber nicht langweilig. All diese Stimmungen gießt er in verträumte Melodien. Vom Statement "Modern Life Is Rubbish" musste sich Albarn längst distanzieren, schließlich zeichnet er für das erste kommerzielle Album verantwortlich, das komplett auf dem Ipad entstand ("The Fall").

Das moderne Spielzeug begleitete ihn auch beim Besuch von Orten seiner Kindheit, wie den kleinen See "Hollow Ponds" im Londoner Nordosten. Albarn nahm Samples für den gleichnamigen Song auf: vom Wasser und den Menschen, von einer anfahrenden U-Bahn, der Klingel seiner alten Schule oder Vogelgezwitscher.

Zudem beherrscht das Hadern mit der omnipräsenten Technik und dem Umgang mit den Medien seine derzeitige Gedankenwelt. Das manifestiert sich bereits im Titeltrack. Die Platte startet mit einem Einspieler des 50er-Jahre Komikers Lord Richard Buckley: "They didn't know where they was going but they knew where they was, wasn't it?". Einem Thriller gleich bohren sich kurze, kreischende Synthietöne, getragen von schleppenden Klavierklängen in den Kopf.

Dazu warnt Damon Albarn mit sanfter Stimme vor einem fremdgesteuerten Alltag: "We are everyday robots on our phones / In the process of getting home. Looking like standing stones / Out there on our own". Dagegen sorgt das verträumte "Lonely Press Play" für ein zufriedenes Aufseufzen mit dahin klackerndem Beat, der an längst vergangene Musikkassetten-Zeiten erinnert.

Das folgende "Mr. Tembo" fände jedenfalls auf jeder Kinderkassette einen würdigen Platz. Fröhlich singt Albarn über einen verwaisten Elefanten in Afrika, während Rasseln und Ukulele für eine unbeschwerte Grundstimmung sorgen. Begleitet wird er vom Leytonstone City Mission Choir, einem Gospel-Chor, dem er schon in seiner Kindheit lauschte.

Auch dem hymnischen "Heavy Seas Of Love" gibt dieser Chor den Gospel-Pop-Anstrich. Weiterer Support kommt von Bat For Lashes' Natasha Khan, die in "The Selfish Giant" wehmütig säuselt, sowie Brian Eno in "You And Me", das Albarns Drogensucht behandelt.

"Everyday Robots" wirft intime Streiflichter auf den Protagonisten. Der Soundkosmos, den Damon Albarn in den vergangenen 25 Jahren entwickelte, tritt klarer denn je zu Tage. Mit herzschlagartigen Beats setzt er ein Gegengewicht zu den schweren Gedanken: Nachdenklichkeit muss nicht in bitterem Trübsinn enden.

Trackliste

  1. 1. Everyday Robots
  2. 2. Hostiles
  3. 3. Lonely Press Play
  4. 4. Mr. Tembo
  5. 5. Parakeet
  6. 6. The Selfish Giant
  7. 7. You and Me
  8. 8. Hollow Ponds
  9. 9. Seven High
  10. 10. Photographs (You Are Taking Now)
  11. 11. The History of a Cheating Heart
  12. 12. Heavy Seas of Love

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7 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 10 Jahren

    Beim ersten Hördurchgang war ich etwas enttäuscht, weil viele Stücke überhaupt nicht zünden wollten, aber mittlerweile gefällt mir das Album als Ganzes richtig gut. Er driftet in seinen Texten zwar öfter mal in abgenutzte Klischees ab, - was bei solchen Themen wie "Mensch - Technik" ja auch sehr leicht ist - aber insgesamt ist das schon alles noch im grünen Bereich. Ist halt ein sehr ruhiges Album, das sich zumindest mir erst nach mehrfachem Hören erschlossen hat. Ich würde jetzt aber auch 4/5 geben.

  • Vor 10 Jahren

    Ich bin in das Album regelrecht verschossen. Hab' eigentlich nicht lange gebraucht, um reinzukommen, vieles war ja aber schon vorab bekannt.
    Die Apathie, das durchweg gesetzte Tempo, die verhaltenen Soundspielereien, da braucht's natürlich die entsprechende Stimmung für - aber dann funktioniert's prächtig. Bloß an "Mr. Tembo" hab' ich mich anfangs gestört, weil das so gar nicht ins restliche Album-Bild passt, aber mittlerweile hab' ich auch das ins Herz geschlossen.

  • Vor 10 Jahren

    Ich finde das Album ebenfalls grandios. Habe nicht lange gebraucht, um die Grundstimmung des Albums einzufangen.
    Finde auch das Tempo der einzelnen Stücke klasse - diese sind nahezu chillig.
    Nach meinem Geschmack ein Highlight in diesem noch jungen Musikjahr...
    Heavy Seas of Love hats mir besonders angetan. Ich hoffe Damon wittert auch demnächst: B - L - U - R. ;)
    Ein anderer hats ja bereits mit einer anderen ehemaligen Band vorgemacht... :)