laut.de-Kritik

Im Schlachthaus zählt nur das Jetzt.

Review von

Es kommen zu viele nicht so gute Dinge aus Hannover. Die Scorpions, Annalena Baerbock, Prinz Ernst August, der traditionell blasseste Profiverein im deutschen Profifußball, Oliver Pocher, da kommt aus dem Stand eine beachtliche Liste zusammen. Hannover, quo vadis?

Der Weiler zwischen Leine und Ihme versucht Wiedergutmachung zu leisten mit dem Comeback einer der (auch international) in den 90ern erfolgreichsten deutschen Bands: Fury In The Slaughterhouse. Ganz stimmt das nicht, auf der Kompilation "30" von 2017 waren schon einige neue Songs, und dank des Wingenfelder-Duos der gleichnamigen Brüder waren die Furies nie so richtig weg. Wingenfelder war solo (als Duo) aber nichts Gescheites. Aus "Sieben Himmel Hoch" ergoss sich klebriger Gefühlsregen, der nach Fanservice schmeckte. Eher BAP und Wolf Maahn als am Puls der Zeit.

Und wer war bitteschön mehr am Puls der Zeit als die sechs Musiker von Fury In The Slaughterhouse? Hypererfolgreich, stilprägend für eine ganze Generation von norddeutschen (Süden: Slut/Pelzig) Provinz-Indie-Schluffies, und mit "Mono" eines von gefühlt maximal 3-4 deutschen Alben der 90er, die UK-Sound imitierten und für die man sich trotzdem nicht schämen musste. Während der Albumtitel "NOW" mit der Brechstange suggeriert, dass die Furies weiter den Zeitgeist einatmen, räumt der Opener "Sometimes (Stop To Call)" damit gleich mal auf, aus jeder Pore dieses Lieds atmen vergangene Zeiten. Routine ist ja ein zweischneidiges Schwert zwischen Malen nach Zahlen und souveränem Umgang mit dem eigenen Markensound. Bei "Sometimes (Stop To Call)" schlägt der Zeiger noch deutlich zum letzteren aus, der Song hat eine gewisse Grandezza, die dem Sound guttut.

Damit kommen wir schon zum prägenden Element dieser Veröffentlichung, der Produktion. Die übernahm Vincent Sorg, der mit den Gruselreferenzen Paddy Kelly, Betontod und Saltatio Mortis aufwartet. Herr Sorg ist seines Zeichens der Schrecken aller unter ihm wohnenden Nachbarn, denn anscheinend stampft der Produzent ununterbrochen im Viervierteltakt. Damit ließen sich viele berufliche Träume verwirklichen – Weintraubenstampfer zum Beispiel – in Sachen Musik finde ich das eher eintönig.

Fury fanden ihn wohl gut, denn er hat seine Duftmarke auf dem ganzen Album hinterlassen, das folgerichtig einen ausgesprochen kohärenten, unangenehm weichgezeichneten Sound mit Mitklatschschunkelneigung aufweist. So erklären sich Nummern wie der miese Piano-Stampfpop "Not The Time To Live A Lie", der sich im Übrigen auch noch kalkuliert-konstruiert nach dem Vorbild Coldplays zu "X&Y"-Zeiten anhört.

Dieser Ansatz verbindet sich mit einer erschreckenden musikalischen Schwäche, nämlich dem Thees-Uhlmann-Syndrom der ewigen Akustikgitarre, die einer norddeutschen Sage nach immer gleich gespielt in jeden Song passt. Dabei kommen dann egale Nummern wie "1995" heraus. Ein richtig langweiliger Nostalgiesong, mehr glattproduzierte Nickelback als UK-Indie. Den charakteristischen Fury-Sound kann ich dort und auf "The Beauty" jedenfalls nicht erkennen. "The Beauty" mäandert zwischen nervigem Onkel mit Klampfe auf Familienfeier bis Atomic, den anderen Lokalmatadoren meiner Heimat. Die Krone setzt dem Ganzen "All About Us" auf. Hört sich mit seinem schlecht gemachten Mehrstimmengesang an wie eine deutsche Live Aid-Ausgabe auf Viva, ca. 1999. Sprachlich ist der Track dann auch nicht mehr nur flach, sondern wie das verschämt rockige "Replay" leider schon wieder lustig, das haben sogar die H-Blockx better done. "This Will Never Replace Rock'n'Roll" ist exakt so schlimm, wie es sich anhört.

Besser wird es - trotz Modern-Talking-Gedächtnis-Keyboard - auf "Letter To Myself", da die Furies etwas Dynamik entwickeln. "Good Luck On Your Way" ist eine entspannte und runde Nummer. Kai Wingenfelder steht hier mehr im Vordergrund, eine Wohltat. Er hat als Sänger ja durchaus einen Charme, wenn er nicht im Korsett missglückten Songwritings verharrt.

Der Titelsong "Now" ist okayer UK-Indie. Albumhighlight ist das überkandidelte "Sorry". Das Lied ersäuft in Streichern, aber Wingenfelder entfaltet in seinem hemmungslosen Gecroone eine Morrissey-artige Faszination. Fury In The Slaughterhouse hätten öfter so die Sau rauslassen sollen, weniger Handbremse und wenn das noch mehr Schmalz bedeutet, dann sei es so.

2021 ähneln die Furies Selig immer mehr, da können sie dann auch deren Dynamik und Pathos übernehmen. In Ansätzen erkennt man, dass die Furies idealiter zu einem Sound in Richtung Keane fähig wären, aber diese Entwicklung wird noch eine Weile dauern. Meine Empfehlung an die Elterngeneration lautet: Lieber weiter so tun als würde man Yung Hurn verstehen, als diese Scheibe dem Nachwuchs vorzuspielen.

Trackliste

  1. 1. Sometimes (Stop to Call)
  2. 2. 1995
  3. 3. The Beauty
  4. 4. Letter To Myself
  5. 5. All About Us
  6. 6. Now
  7. 7. Good Luck On Your Way
  8. 8. Replay
  9. 9. Sorry
  10. 10. This Will Never Replace Rock'n'Roll
  11. 11. Not The Time To Live A Lie
  12. 12. Walk On

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7 Kommentare mit 27 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Eine Rezession über eine Band aus Hannover, die mit Scorpions-Bashing anfängt... hö hö, wat ham wer jelacht.

  • Vor 3 Jahren

    inn haannnoovvaaaa an däärrr leinääää rooohhhte gasse nummaa acht leeebt däärr...

  • Vor 3 Jahren

    Klingt fürchterlich offensichtlich nach dem, was es ist: Ner alternden ehemals okayen Poprock-Truppe, die von einem etwas weniger alter Produzentenheini zu schwülstigem Stadionrock umerzogen wurde, um ja hip zu bleiben. :conk:

    Wenn man die Augen ganz fest zu macht, klingt's gelegentlich ein bisschen wie'n passables Minus The Bear-Imitat, aber nur ein bisschen. Und das ist wohl das größte Kompliment, das für die Band drin ist...

    • Vor 3 Jahren

      Jupp. Grausig, aber mittlerweile seit 20 Jahren

    • Vor 3 Jahren

      "Sing meinen Song" Musik ;)

    • Vor 3 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 3 Jahren

      "klingt's gelegentlich ein bisschen wie'n passables Minus The Bear-Imitat"

      Alter...Schwingi.... Die sind im letzten Jahrzehnt und insbesondere nach dem Abgang von Matt Bayles ja durchaus beliebiger geworden. Auf der Haben-Seite bleibt für mich aber "Innovativste US-Indie-Rock-Band der 00er Jahre", "Einziger Drummer, der zwischen 2005 und 2008 dem Bloc Party-Lad international das Wasser reichen konnte,", mit "Menos el oso" und "Planet of Ice" zwei Monolithen von Alben im Brett (plus eine Handvoll so gewitzt benannter EPs, als kämen sie als Bootlegs aus erster Hand von nem Band-Kumpel direkt aus dem Proberaum von Mogwai - und die Musik drauf ist auch schon nicht schlecht).
      Selbst auf müden Spät-Werken wie OMNI finden sich Sachen wie "Secret Country" - perfekt abgerundeter Indie-Popsong. Dass wachsende Erreichbarkeit von Hörer*innen da hörbar bereits Albumkriterium war - geschenkt. Was Dave Knudson im Alleingang für ein Renommee für die Technik der Live-Loop-Egitarre aus dem Boden stampfte - ich drück mehr als meine drei Augen zu! Aber als wäre das alles für sich nicht schon legendär genug - hast Du außerdem mal gecheckt, welche super abgefahrenen Platten anderer Bands Ex-Keyboarder Bayles "so nebenher" produziert hat?! FUCKIN PANOPTICON VON ISIS, ein Großteil der Caspian-Diskografie... Pachuca Sunrise bis heute einer meiner Lifesaver-Tracks und Top 20 Beste Songs aller Zeiten, imo!

      Und Du nennst hier fuckin' Fury im selben Satz UND schiebst noch das Adjektiv "gelegentlich passabel dazu?!
      Nee...Geht nicht unkommentiert durch, vorher spare ich mir eher noch jeden zukünftigen Rant über Drangsal! THE GAME NEEDED ME!
      An dem Tag als ich das hier von DIR las ist echt was in mir zerbrochen in mir und ich musste mich vor ner Antwort sammeln, um nicht in alte Verhaltensmuster zurück zu fallen und dir mit Hausbesuch und Vergleich der individuellen Plattensammlung auf's Dach zu steigen!

      Habe so langsam meine ich meine allseits bekannte unterkühlt-reservierte Fassung zurück und inzwischen auch ein bisschen das Gefühl, alles Notwendige zum Sachverhalt gesagt zu haben, außer vielleicht noch:

      SCHÄM DICH! :conknerv:

    • Vor 3 Jahren

      "We don't have money
      So we can't lose it
      But you're touchin me like piano keys
      and you can't buy that movement"

      Beschwör den Kraken und ruf mich an, sobald Fury ähnlich geschliffene Vierzeiler (mit ähnlich erträglichem Englisch-Akzent vorgetragen) hinbekommen!

    • Vor 3 Jahren

      Doc,
      das war vor allem auf den Gesang bezogen. Ihre Range ist eben ähnlich, wenngleich Jake Snyder natürlich haushoch musikalisch dem Fury Trällertypen überlegen ist.
      Der Vergleich mag für manche hinken, ist auch okay. Vielleicht wollte ich der Fury Band auch nur nen Knochen rüberschmeißen.
      Im Übrigen mag ich ihr Spätwerk fast lieber als die experimentellen ersten Alben. Ich mag das Besonnene, Abgeklärte in den letzten zwei drei Alben, was sicherlich für manche Ohren als "langweilig" oder "müde" durchgeht. Gerade die Fair Enough EP und die Lyrics des Titeltracks haben mich hart getroffen in Anbetracht ihrer Auflösung (auch wenn der subtile Zusammenhang von der Band vielleicht gar nicht bewusst hergestellt wurde).

    • Vor 3 Jahren

      Krass, das ist tatsächlich für mein Empfinden eine sehr exklusive Meinung zum Spätwerk von MtB, die du da pflegst.

      Hast ja nach häufigeren Begegnungen hier auch super souverän auf die künstlich überblähte Aufregung meinerseits reagiert, die aber diesmal gar nicht soo überbläht war... Hatte tatsächlich nach Jahren der Funkstille 12 Stunden zuvor den Textkontakt zu nem musikalischen Weggefährten, ziemlich begabter Pianist und Musikwissenschaftler, aus meiner Oberstufenzeit wiederhergestellt bekommen... So DER andere Musikgeek in meiner Klasse und unserer Jahrgangsstufe auf dem einzigen Gymnasium dieser miefigen Kleinstadt. Und nach dem obligatorischen gegenseitigen Abklopfen der persönlichen Meilensteinalben der letzten 20 Jahre blieben wir halt fassungslos und trotzde mit beiderseits spürbarer Verärgerung am Thema MtB hängen und dass ja AUSGERECHNET die zu so einem blassen Schatten ihrer selbst wurden bei dem galaktischen Potential, was sie bandintern ballten... Und dass es doch bei SOOO vielen Durchstartern junger Indierockbands in dieser 2000-2005 so heißen Rockband-Startup-Phaseschon absehbar war, wie belanglos sie spätestens mit Album 3 klingen würden. Und in so vielen Fällen behielten wir recht... Aber ausgerechnet MtB, wer hätte das bitte voraussehen können zur VÖ von Menos el Oso? :D

      Na ja. Finde das auch irgendwie immer noch faszinierend, wie Matt Bayles eben nahezu Legendenstatus im Bereich PostRock/PostMetal erreichte mit Produktionen einiger echter Meilensteine des Genres - während er halt gleichzeitig mit einer Band aktiv unterwegs und erfolgreich war, die stilistisch an nem völlig anderen Punkt des Stromgitarren-Koordinatensystems anzutreffen ist.

    • Vor 3 Jahren

      Ganz viel Liebe für Minus The Bear auch von meiner Seite, vor allem "Infinity Overhead" ist neben dem offensichtlichen Meisterwerk "Planet Of Ice" mein Lieblingsalbung der Band.
      Was "Pachuca Sunrise" angeht, bin ich fast bei dir, souli. Das ist in der Tat einer der schönsten Songs, die ich je gehört habe und da hängen auch unzählige Erinnerungen dran, auch wenn ich immer der Meinung war und weiterhin bin, dass der Refrain nach diesem unbeschreiblichen Intro und Strophe nicht ganz mithalten kann.

    • Vor 3 Jahren

      Mit der Planet of Ice bin ich nie so recht warm geworden, teile deine Meinung bzgl der Infinity Overhead. Songs von der PoI, die du empfehlen kannst?

      "Finde das auch irgendwie immer noch faszinierend, wie Matt Bayles eben nahezu Legendenstatus im Bereich PostRock/PostMetal erreichte"

      Sicherlich verdient, die erste Mastodon-Phase glänzt auch durch seine eigenwillige Arbeit. Wobei ich den Hochglanzsound, den sie unter Brendan o'Brien auf der Crack the Skye verpasst bekamen - bis heute ihr Meilenstein m.E. - noch mehr feiere...

      Ich will noch anmerken, dass man als Konsument, der mal eben in relativ kurzer Zeit ne Diskographie abfrühstückt, die Jahrzehnte umspannt, gelegentlich das Gefühl dafür verliert, wieviel Zeit zwischen den Releases vergeht. ;) Musiker und ihre Heransgehensweisen an Songwriting verändern sich oft über die Jahre. Ich finde MtBs Entwicklung dahingehend durchaus nachvollziehbar...

    • Vor 3 Jahren

      "Das ist in der Tat einer der schönsten Songs, die ich je gehört habe und da hängen auch unzählige Erinnerungen dran, auch wenn ich immer der Meinung war und weiterhin bin, dass der Refrain nach diesem unbeschreiblichen Intro und Strophe nicht ganz mithalten kann."

      Das trifft mich jetzt hart, denn das ist etwas, was ich jahrelang ab VÖ immer wieder beim Hören des Songs gedacht und gefühlt habe, wirklich JEDES Mal, bis sie irgendwann mal aus ner "regular rotation" raus war bei mir, aber das habe ich NOCH NIE irgendwo geschrieben oder im Austausch zu MtB bei irgendwem angesprochen...

      2017 packte ich den Song auf ein Anthology-Mixset und spürte beim Abhören, dass sich dieses Gefühl verflacht hatte. Erst dachte ich, dies läge an kognitiver Umstrukturierung durch zwischenzeitlich gewachsenen Erfahrungsschatz beim hobbymäßigen Komponieren, so i.S.v. dass "der leichte qualitative Abfall des Niveaus in den Refrains die unbeschreibliche Schönheit des Rests besonderes herausstellt". Dramaturgischer und emotionaler peak point bleibt für mich z.B. auch der Übergang vom letzten Refrain in den Outro-Part, was sich schön an diese Erklärung schmiegen lässt... Ob's wirklich der Grund ist oder mein Hirn den nur herbei phantasiert hat, um meinem Bewusstsein die Gewöhnung an Aufbau und Ablauf des Stücks zu erklären? I'll never know. :)

    • Vor 3 Jahren

      @schwingster: "Burying Luck" ist für mich der Übersong der Platte, ansonsten bieten "When We Escape, Ice Monster, Throwin' Shapes" und auch "Knights" die Riff- und Drum-Extravaganza von Dave Knudson und Erin Tate in Kombination mit der Gelassenheit der späteren Alben und Jake Sniders Gesang alleine hat ja eh schon eine beruhigende Wirkung :)

      @soulburn: Ha, da waren wir uns mal eine Zeit lang einig! :D
      Aber vielleicht setzt das bei mir dann auch noch ein. Das machen Minus The Bear in einigen ihrer Songs, eine enstpannte, verspielte Strophe und dann einen hektischen Refrain mit upbeat Drums und viel hihat-Gezische :D
      Ich kann das jetzt nicht so psychologisch fundiert ergründen wie du, was da bei der Musikrezeption im Gehirn geschieht aber ich denke, im Fall von "Pachuca Sunrise" kommt mir der Refrain etwas deplatziert vor, da Intro/Strophe/Outro mit diesen deskriptiven Lyrics so unglaublich elegisch, sehnsüchtig, nostalgisch und dabei trotzdem enstpannt klingen und ich mich schon in Gedanken "midnight on a beach in the mediterranean" wähne und die Sehnsucht nur so greifen kann und dann kommt der Refrain und der hat etwas Nervöses und Hektisches und klingt irgendwie auch nach wildem, schweißtreibenden Rumschubsen auf einem Konzert, was an dieser Stelle für mich immer ein wenig den perfekten Flow und das zuvor erschaffene Setting unterbricht.
      Aber Minus The Bear haben den Song so geschrieben, wie sie das wollten also habe ich da eh nichts zu melden :D

      " Dramaturgischer und emotionaler peak point bleibt für mich z.B. auch der Übergang vom letzten Refrain in den Outro-Part"
      DIESE STELLE!! Und die Gitarre macht so "düdüdöö".

      Danke übrigens für das Auffüllen der Wissenslücken hinsichtlich des unglaublichen Œuvres von Matt Bayles, das war mir in der Form nicht bewusst, an was für wegweisenden Werken der beteiligt war.